Zaeddie Smith :: London NW
Zurück dorthin, wo „Zähne zeigen” spielte, aber diesmal werden die Figuren strenger behandelt.
Ein Kapitel im neuen Roman von Zadie Smith ist der Ausdruck eines Routenplaners, eine Fahrt von einer Adresse im Nordwesten Londons zu einer anderen. Im nächsten Kapitel folgt dann eine Art Strom der Orientierungsmarken auf diesem Weg: „Weltweit Billiger Telefonieren, Englischunterricht, Augenbrauen-Waxing, Falun Gong, Steht Jesus auf Deiner persönlichen To-do-Liste? Alle lieben Chicken-Nuggets. Alle.
Bank of Iraq, Bank of Egypt, Bank of Lybia. Leere Taxis wegen der Sonne. Gettoblaster, einfach so. Einsamer Italiener in Slippern, verirrt, auf der Suche nach Mayfair.“ Leahs Blick aus dem Linienbus erinnert an die Spaziergänge, die man mit Google Street View unternehmen kann, aber die Romanfigur ist ja keine Fremde, sie ist als Kind einer irischen Familie in einer Sozialbausiedlung hier aufgewachsen, so wie auch ihre beste Freundin Natalie (die früher Keisha hieß, aber fürs Jurastudium den Namen geändert hat).Einmal finden die beiden „eine mittelalterliche Dorfkirche, gestrandet auf diesem Viertelhektar inmitten eines Kreisverkehrs“. Doch Ruhe bietet sie ihnen nicht. Sie mögen sozial aufgestiegen sein, aber die Herkunft steckt noch in ihnen: Sie erkennen Shar, die Frau, die Leah austrickst; so süß sah Nathan mit zehn aus, der jetzt Tageskarten an der U-Bahn vertickt; und der junge Mann in den Nachrichten, der erstochen wurde, war das nicht auch einer von ihnen?
Zadie Smiths großes Thema ist die Konstruktion von Identität, geprägt von der Familie, von eigenen Entscheidungen, von der Umgebung, auch wenn es multikulturelle Orte sind wie die Stadtteile Willesden oder Kilburn. Dort spielte auch „Zähne zeigen“, doch während der Bestseller die Identitätskonflikte noch mit sanfter Komik begleitete, geht Smith mit Leah und Natalie und den anderen strenger um. Dafür hat „London NW“ eine sprachliche Wucht, mit der Unterschiede markiert werden, und einen Willen zum formalen Experiment, das hier allermeistens gut geht. Bemerkenswertes Detail dabei: Hautfarben werden als Beschreibung fast komplett gemieden. Zadie Smith hat in einem Interview dazu von einer Spielerei gesprochen – aber es ist definitiv mehr.
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