Vagabon
Vagabon
Nonesuch/Warner (VÖ: 18.10.)
Indie-Rock-Erneuerin Vagabon denkt sich zum großen Future-Pop-Entwurf weiter.
Ein künstlerischer Hakenschlag von fast historischen Ausmaßen ist das zweite Album von Vagabon. Übertrieben? Nun. Drei Jahre lang schrieben Journalist*innen, zum Beispiel auch dieser, die kamerunische Künstlerin Lætitia Tamko aus NYC zur Vorzeigefigur einer Szene, die die Gitarre endlich den weißen kalten Fingern der Indie-Rock-Männer entrissen hat.
AmazonVagabon, Mitski, Japanese Breakfast, so hießen die Künstlerinnen, die für einen Neuanfang standen, dem ästhetisch totgelaufenen Indie neue Impulse geben sollten – „Unbearable White“, unerträglich weiß, kommentierten sich schließlich selbst Vampire Weekend zuletzt ja schon zumindest ironisch selbst, hier gab es neue Positionen, neue Identitätsentwürfe, und es kündigte sich an, ganz schön geil zu werden.
Und Vagabon? Legt die Gitarre nun schulterzuckend zur Seite. Über die Geste des Aneignens ist sie längst hinaus, wenn es überhaupt je die ihre war, über die DIY-Szene in Bushwick sowieso. Lediglich im Hintergrund darf es bisweilen noch etwas janglen, und man kann dort durchaus Spuren westafrikanischer Einflüsse hineinlesen, so man das will, und das tolle „Every Women“ beginnt mir Akustikakkorden.
VAGABON, ihr zweites Album, das erst in letzter Minute diesen Namen aufgesetzt bekam, weil der ursprüngliche Titel eine Pionierin der zeitgenössischgen Lyrik zitierte, Nayyirah Waheed, die diese Referenz schlicht ablehnte, sich und Vagabons Musik damit auch exotisierenden Entwürfen schwarzer „Sisterhood“ entziehend, ist kein Rockalbum.
Es eröffnet mit einem Stück, das klingt, als hätte sie den zeitlos historischen Kunstlied-Folk von Joanna Newsom in die grenzenlosen Möglichkeitsräume einer Künstlerin wie Lafawndah gesetzt. Es ist das Zusammenkommen von Future-R’n’B, von hochmoderner, rhizomatisch ausufernder Produktion mit dem antiken Bewusstsein, dass Pop erst da groß wird, wo das Kind das Liedchen auf dem Weg in den dunklen Keller pfeifen kann, mit einem berückenden Gespür für Melodie also. Folk zu Orchester zu Future zu Gospel, zu Heimatlosigkeit und Wut, Drinbleiben und Solidarität. Großer Hakenschlag, großer Wurf.