Tortoise

Its All Around You

Wenn Tortoise so weiter machen mit ihrem Rock-Rock, werden sie demnächst von Clive Davis produziert.

Jesusmariaundjosef! Carlos Santana! Die Gitarre im ersten Track des neuen Tortoise-Albums schleimt und schmeichelt sich ins Ohr wie die des wiedergeborenen Superstars aus den Siebzigern. Überhaupt versprüht „It’s All Around You“ sonnenscheinigen Copacabana-Flair. So was will man eigentlich gar nicht hören müssen, und von Tortoise schon mal gleich gar nicht. Der opening track hat doch Vorbildfunktion, er ist die Visitenkarte, der Wegweiser eines Albums. Dass nach dem „Post Rock“ irgendetwas anderes kommen musste, war ja klar, das ehrt Tortoise, Weiterentwicklung und so. Aber hat das unbedingt Rock-Rock sein müssen? Aber nein, Tortoise haben doch mehr im Programm. „The Lithium Stiffs“ zum Beispiel, mit Ah-ah-ah-ah-Stereolab-Frauenchören. Schon, dass irgendwann was hängen geblieben ist von den Musiken, die John McEntire produziert, wenn er gerade nicht der Chef seiner Hauptband ist. Und dann: „Crest“ – ein Prog-Rock-Ungetüm mit schleimigen Synthesizerflächen, das jedem Schweine- und Altrockertag im Internetforum deines Vertrauens zur Ehre gereicht. Spinnen die? Hat das einen tieferen Sinn, folgt das einem höheren Plan? Einen Track später („Stretch [You Are All Right]“) trifft fluffige Vibraphon-Leichtigkeit auf einen gehörigen Schuss Funk Ider Bass, der Bassl. ‚Unknown‘ mit komplexen Drumpatterns klingt wie der Remix eines Tortoise-Tracks. Brian Eno trifft Neu! trifft Trans Am in „Dot/Eyes“. Dann gibt’s auch noch ein bisschen Tortoise-Tortoise, ein bisschen neunziger-Jahre-Kölner-Elektronikschule und ein bisschen oldschoolige Tangerine-Dream-Kitsch-Soundflächen.Wir können auch anders. Wir können auch alles. Kritiker verwirrt. Vorläufiges Urteil: