Tocotronic – Kapitulation Live

Indie Rock: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit oder: Braucht man ein Live-Album der besten deutschen Band?

Wenn man Musik als Kunst betrachtet, sind Konzerte bloße Reproduktion. Das zu einem früheren Zeitpunkt geschaffene Werk wird reproduziert, ohne dabei etwas Neues zu kreieren. Ein großes Streitthema in der Kunst. Rockbands sind fein raus, denn sie haben per Definition die Legitimation zur Reproduktion. Rockbands spielen nun mal Konzerte. Tocotronic verstehen sich als Rockband und ihre Musik als Kunst; sie sind sich der Reproduktionsproblematik durchaus bewusst Jetzt veröffentlichen sie aber ein Live-Album, und unweigerlich drängt sich dann die Frage auf: Was soll das? Man könnte spekulieren, es habe damit zu tun,dass Tocotronic vor Kapitulation einen Deal mit einer großen Plattenfirma abgeschlossen haben. Man könnte sich daran erinnern, dass mit CD-Verkäufen heutzutage kein Geld mehr zu machen ist. Man könnte an die Konzerte der Kapitulation-Tour denken und daran, dass Tocotronic eine zauberhafte Live-Band ist. deren musikalische Qualität (trotz offen zugegebener Probe-Faulheit etc.) ein Live-Album doch sehr interessant macht. Kapitulation live ist nämlich ziemlich großartig. Wir hören der Band am 16. Oktober in Hamburg zu (Dirk von Lowtzow im Januar-MusiKEXPRESS: „Hamburg ist immer ein extremer Höhepunkt“). Sie beginnt mit „Mein Ruin“ und hört mit „Explosion“ auf, dann kommen die Zugaben. Jeder kapitulation-Song aus der immer gleichen Setlist ist zu hören, dazu sechs andere,“Ich bin viel zu lange mit euch mitgegangen“ zum Beispiel und „Aber hier leben, nein danke“ und „Freiburg“, das nach der Hälfte abbricht und in die finale Feedbackorgie mündet, achteinhalb Minuten lang. Tocotronic klingen so rau und rumpelnd wie auf den Konzerten (wie gut, dass Rick McPhail dazugekommen ist!) und auch inhaltlich sind es die rougheren Songs. Kapitulation live eben, deswegen wohl auch kein „Die Grenzen des guten Geschmacks 2“ oder „Free Hospital“, das auf der Tour zum ersten Mal live gespielt wurde. Stattdessen hören wir zum Schluss eine intime, brüchige Version von „Wehrlos“: Dirk von Lowtzow beim Soundcheck. Gänsehaut. VÖ: 11.1.

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