The White Stripes
Elephant
Irgendwann erwischt es sie alle. Irgendwann schafft es auch die kleinste, schäbigste „Wir-spielen-vor-14-Leuten-i-nstinkenden-Kellerlöchern „-Band, die Stadien zu rocken. Sie muss es nur wollen. The White Stripes sind mit Elephant auf dem besten Weg dazu. Nach drei minimalistischen Garagen-Blues-Rock-Alben kommt jetzt „das elaborierte Werk“. Jack und Meg White wollen Led Zeppelin sein, dabei aber ihre Garage in Detroit nicht verlassen. Früher mal Captain Beefheart covern – auch ein großer Dekonstrukteur des Blues -, heute die Grabschänder des Blues-Rock schänden. Nicht nur, dass Jack White mehr als einmal den Robert Plant („There’s No Home For You Here“) gibt, seine Gitarre klingt so ausgefranst wie die von Jimmy Page, und viele Stücke beschwören die karge Aura der frühen Led Zeppelin. Inkl. Sechziger-Jahre-Produktion.
Anstatt zu lobhudeln, was The White Stripes auf Elephant alles richtig gemacht haben, wäre es ökonomischer zu erzählen, was hier nicht stimmt. Denn das ist nicht viel. „Hypnotize“ und „Girl, You Have No Faith In Medicine“ sind uninspiriertes Geschrammel irgendwo zwischen mittleren Cramps und frühem Jon Spencer – und die einzigen Ausfälle unter 14 Stücken, die vom Songwriting, vor allem aber vom Arrangement her neue Maßstäbe setzen werden im „The“-Band-Genre. Immer wieder kommt ein kleines Detail, eine rollende Hammondorgel, eine Slidegitarre, ein schepperndes Piano, eine Akustikgitarre, ein unerwarteter Break, etwas, das die White Stripes heraushebt aus dem Wust der postmodernen Gitarrenbands. Und alles hübsch auf der Basis dieses giftigen, Feuer speienden Indie-Blues-Rock, für den man das Duo spätestens seit White Blood Cells so furchtbar lieb hat. Während andere Bands zwei Jahre mit ihren Anwälten verbringen, um zu klären, unter welchen Bedingungen sie wieder ins Studio gehen, genügen den White Stripes zwei Wochen, um eben dort ein kleines Meisterwerk, ein Dutzend Songs aus dem Ärmel zu schütteln. Solche wie „Cold, Cold Night“, Meg Whites minimalistische Lesung eines archetypischen Rhythm’n’Blues, der glatt als Standard aus den fünfziger Jahren durchgehen könnte. Oder „It s True That We Love One Another“, ein Trigesang zwischen den Whites und der britischen Singer/Songwriterin Holly Golightly. Holly fragt: „Just say, Jack, do you adore me?“ Jack antwortet: „Well, I would, Holly, but love really bores me.“ Irgendetwas stimmt hier mit den Beziehungen nicht, entweder sie sind bereits zerbrochen oder kurz davor. So gesehen gibt „I Just Don’t Know What To Do With Myself“, das Cover der Burt-Bacharach/Hal-David-Komposition, das Motto des Albums vor.
Aber Jack White trauert der verlorenen Liebe nicht in Bacharach-Größe nach,
er bedauert den Verlust, findet Leben und Liebe langweilig, macht aber trotzdem weiter. Die der Kraft der Langeweile. Monotonie als Motivation. Den Blues spielen, weil man den Blues hat. Und die Gewissheit, dass du dir das Streben nachdem Glück schenken kannst, weil du es sowieso nie erreichen wirst. Dann schon lieber alle Energie und Leidenschaft in die Musik stecken, um ein Monster von einer Platte zu schaffen, White Blood Cells war groß, Elephant ist auch groß, aber anders, ein Album des Übergangs. Das Deep Purple In Rock des frühen 21. Jahrhunderts.W er weiß, was da noch kommen wird.
www.whitestripes.com
Discografie:
1999 The White Stripes
2000 De Stijl
2001 White Blood Cells
2003 Elephant (alle Beggars/Zombal)
Senf dazu?
Musikexpress-Redakteure über die Platte des Monats:
„Um es mit den Worten des werten Kollegen Koch zu sogen: Dieses Album spricht zu mir! Weniger von den guten ölten Zeiten als von goldener Zukunft. Sollte mich nicht wundern, wenn ‚Elephant‘ zum ‚Revolver‘ des Post-Post-Rock wird. Oder zum ‚Teen Spirit‘ des ‚The‘-Movements.“ Ernst Hofacker
„Jack White selbst beschrieb die Musik der Platte am Besten, als er über den Titel sprach: „Das Album heißt ‚Elephant‘, weil das eine Kreatur ist, die Meg und mich hervorragend repräsentiert. Die Wut, die Hintergründigkeit, die Kraft, die Tapsigkeit und die Unschuld. Wenn wir ein Tier wären – wir wären ein Elefant.“ Christoph Lindemann
„Gestern hab ich Jack White bei Viva Videos ansagen sehen, während Meg neben ihm im Hotelbett schlief – die beiden waren mal wieder die kühlsten Sau…, äh. Elefanten in rock. Die Platte ist eh ein Wahnsinn. Ich find’s lustig, dass 2003 eine Bluescombo Top Of The Hip ist. Wo bleibt dos Ten Years After-Revival?:-] “ Josef Winkler
„No bass statt mehr bass. 30 Jahre Muckertum mal eben ad absurdum geführt, dabei über weite Strecken sämtliche Vorurteile geknackt -‚ zumindest auf Platte -, live für mich indes nach wie vor nicht mal ansatzweise vorstellbar.“ Andreas Kletzin