The Velvet Underground – The Velvet Underground & Nico – Deluxe Edition :: Bananarama

Es gibt Debütalben und es gibt THE VELVET UNDERGROUND & NICO. Fünfunddreißig Jahre nach der Veröffentlichung klingen die elf Tracks noch immer zeitlos-aktuell und üben einen seltsamen Reiz aus. Dass dieses bizarre Werk überhaupt erscheinen konnte, ist jenem Mann mit dem Faible für silberfarbene Plastikhaarteile, vierfarbige Siebdrucke und Campbell-Suppendosen zu verdanken, der als Prophet ( „… in the future everybody will get 15 minutes of fame…!“) in die Kunstgeschichte eingehen sollte: Andy Warhol. Lärmiges Gitarren-Feedback, elektrisch verstärkte Viola-Splitterbomben, holprig-monotones Minimal-Schlagzeug und bittersüße Harmonien, die schonungslos Lou Reeds genäselt-raue Gossenpoesie und Nicos Bariton umgarnen und dem trostlosen Großstadtdschungel New York in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre Rechnung trugen, waren selbst in einer solch experimentierfreudigen Ära nicht jedermanns Sache.

Warhol platzierte The Velvet Underground Ende 1965 als sein neuestes Ausstellungsstück, mit dem er bei den Plattenfirmen hausieren ging. Der Großteil der Firmenbosse, die gerade die Beatles, Stones und Dylan einigermaßen verkraftet hatten, lehnte demonstrativ ab, als ihnen schräge Oden über Sado-Maso-Praktiken („Venus In Furs“), Stricher/ Drogen-Milieu („I’m Waiting For The Man“), soziale Dropouts („Run, Run, Run“), eine fast achtminütige Drogen-Hymne („Heroin“) sowie pure Klang-Kakophonie über einen versoffenen Philosphielehrer („European Son“), den hektischen Tag eines Speedfreaks [„Run, Run, Run“) und den schwarzen Todesengel („Black Angel’s Death Song“) zu Ohren kamen. Im Kontrast dazu standen drei mit wagnerianischem Akzent intonierte psychopoetische Balladen über männermordernde Frauen („Femme Fatale“), depressive Partygirls („All Tomorrow’s Parties“) und androgyne Narzissten („I’ll Be Your Mirror“) sowie die völlig aus dem Rahmen fallende Doo-Wop-Parodie „There She Goes Again“. Noch nervöser wackelten die Köpfe der Plattenbosse, als sie der ausgemergelten, schwarz gekleideten, sonnenbebrillten Truppe ansichtig wurden. Das waren keine Vertreter der farbenfrohen, blumenumkränzten Hippie-Counterculture aus der neuesten Ausgabe des „Time Magazine“ – das waren ganz offensichtlich Abgesandte des Antichristen, die mittels voll aufgedrehter Vox-Verstärker und Gretsch-Gitarren das „jüngste Gericht“ heraufbeschworen. Schließlich erklärte sich das eigentlich auf Jazz spezialisierte MGM-Sublabel Verve dazu bereit, das Velvet Underground-Debütalbum herauszubringen. Verve hatte sich erst wenige Monate zuvor mit der Veröffentlichung von FREAK OUT, dem Debütalbum des kalifornischen Underground-Gurus Frank Zappa und seiner Mothers Of Invention, ein zeitgemäßes Image verpasst. Immerhin, so dachte man in der A&R-Etage, war der hochgelobte Andy Warhol als Mentor nahezu ein Garant für kommerziellen Erfolg für The Velvet Underground. Es sollte alles ganz anders kommen. Mit mehr als einem Jahr Verspätung, im Oktober 1967, erschien die VU-Premiere, ganz Warhollike im legendären weißen Klappcover, mit abziehbarer Banane versehen. Da hatten sich der auf dem Klappentext noch als Produzent verewigte Andy – an sich schon ein Kuriosum, da sich die Velvets selbst produzierten und Dylan-Förderer Tom Wilson im Nachhinein noch am Sound rumschraubte – und sein hochgewachsenes Fotomodell schon zurückgezogen. Als Testballon für die amerikanischen Radiostationen wurde der atypische, zarte-melodische Album-Opener „Sunday Morning“ auserkoren, eine in allerletzter Minute von Lou Reed erpresste Singleauskopplung und floppte. Derweil tourte die Band an der Ost- und an der Westküste, umging aber den Big Apple tunlichst, weil Warhol samt Clan nicht gerade positive Mundpropaganda über die Band betrieb.

Es sollte Jahre dauern, bis die Saat aufging und der Meilenstein, der zum Jubiläum als 2-CD-Deluxe Edition vorliegt, auch ins Gehör der Normalsterblichen vordrang. Auf nunmehr zwei CDs verteilen sich jeweils das Originalwerk in der Mono- und Stereofassung, vier Single- bzw. Mono-Mixe („All Tomorrow’s Parties“ , „I’ll Be Your Mirror“, „Sunday Morning“, „Femme Fatale“ ] sowie ein fünfteiliger, in Zusammenarbeit mit Lou Reed, John Cale, Sterling Morrison und Produzent Tom Wilson entstandener Auszug von Nicos 1967er-Solodebütalbum CHELSEA GIRL. Glücklicherweise kam niemand auf die Idee, die von Reed und Co. bewusst initiierten Verzerrungen, Übersteuerungen und Irritationen auf dem Masterband digital zu säubern. Unter den Tisch fielen hingegen Unmengen an Work-In-Progress-Versionen, die zum Teil schon auf der 5-CD-Box PEEL SLOWLY AND SEE und auf zahllosen Bootlegs zu finden sind. Gleiches gilt auch für einen Alternativ-Mix von „All Tomorrow’s Parties“, auf dem Nicos ungedoppelte Gesangsspur in einer wesentlich besseren Version zu hören ist. Vergessen, verschollen im Archiv. Irgendwie schade.

www.velvetunderground.com