Die New Yorker stellen mit Keyboards und Kopfstimme puristische Fans auf die Probe. So viel Mut will belohnt werden. So viele gute Rock-Songs auch.

Vor zehn, zwölf Jahren konnte man die Strokes für so vieles loben: für ihre Coolness, für ihre Geschichtskenntnis und natürlich dafür, dass sie den Rock’n’Roll gerettet haben. Der einzige wirkliche Punkt negativer Kritik, der auch an der Band genagt haben dürfte, war mangelnde Experimentierfreude. Ihre ersten beiden Platten bestanden aus Variationen eines einzigen Songs – und das ist bestimmt kein Tadel, siehe: Ramones, siehe nicht: Modern Talking. Heute haben sich die Verhältnisse umgekehrt: Cool ist es nicht mehr so recht, die Strokes zu hören, was die mauen Absatzzahlen ihres letzten Albums nahelegen. Um klug aus der Musikhistorie zitieren zu können, muss man nach der Internet-Revolution auch nicht mehr in der Weltstadt des Pop, New York City, ansässig sein. Und für den Status quo von Rock’n’Roll könnte sich der Planet momentan kaum weniger interessieren. Alles, was einst an den Strokes wichtig war, ist heute ziemlich egal. Aber das, was das Quintett damals nicht drauf hatte, ist heute sein großer Trumpf: Unberechenbarkeit. Der Teasersong „One Way Trigger“ zog fast einhellige Ablehnung auf sich. Bee-Gees-Kopfstimme über eine A-ha-Keyboard­melodie? Zu viel Licht für den Iggy-Pop-Riff-Rip-offs gewohnten Fan, der die Band im verrauchten Kellerclub lieben lernte. Mit der schnell nachgeschobenen, offiziellen Lead-Single, dem in klassischem Klangbild strahlenden Voll-Hit „All The Time“, verwandelte sich das Schweppes-Gesicht der Anhängerschaft aber wieder in einen Smiley zurück. Die Zuversicht war wiedergewonnen. Also einmal tief durchatmen und mit ruhiger Hand COMEDOWN MACHINE auflegen – und schon steht das Vertrauen wieder auf dünnem Eis: Hektisches Gegniedel begrüßt einen ein paar Sekunden lang. Dann mutiert „Tap On“ zu einer Art Michael-Jackson-Song, einem guten Michael-Jackson-Song, wie „Wanna Be Startin’ Somethin’“. Zumindest die überschaubaren Sympathisanten von Angles dürften sich freuen: Der Strokes Fünfte geht den Weg weiter, den ihre Vierte eingeschlagen hat. Fast jeder Song ist eine Überraschung, mal eine kleinere, wie der Sci-Fi-Rocker „Partners In Crime“, mal eine größere, wie der Tanz durch die Franz-Ferdinand-Disco „Welcome To Japan“, mal eine sehr große wie das Abschlussstück „Call It Fate, Call It Karma“ – Julian Casablancas singt hier wie eine Vorkriegs-Chanteuse zu einem betrunkenen Tom-Waits-Klavier direkt aus Interzone. Die Hitdichte mag etwas durchlässiger ausgefallen sein als zuletzt, aber die Strokes haben mit COMEDOWN MACHINE etwas geschafft, was kaum einer Band auf ihrem fünften Album gelingt: Sie sind spannender als je zuvor.