The House That Ahmet Built – Atlantic 60th Anniversary

Die Geschichte der populären Musik im 20. Jahrhundert ist nicht nur von großen Musikern und Bands geprägt worden, sondern u.a. auch von sogenannten „Record Men“ – großen Machern und Gründerfiguren an der Spitze von Plattenlabels, für die das Musikgeschäft natürlich eine Chance zum Geldverdienen, daneben aber eben auch noch eine Sache von Leidenschaft und Überzeugungen war. Leuten also, die sich bewusst dafür entschieden hatten, ihre unternehmerischen Fähigkeiten eben nicht dem Verkauf von Schweinehälften, Tomaten oder Finanzprodukten zu widmen, sondern ihrer Faszination für die Musik. Zu den berühmtesten unter ihnen gehörten die Brüder Ahmet und Nesuhi Ertegun, die 1935 als Söhne des türkischen Botschafters in die USA kamen. Ahmet, der jüngere, gründete 1947 zusammen mit seinem Freund Herb Abramson ein Independent-Label für Rhythm’n’Blues, Gospel und Jazz, in das er einige Jahre später auch seinen Bruder holte: Atlantic. Mit Künstlern und Bands wie Ray Charles, John Coltrane. Aretha Franklin, Led Zeppelin, Cream, Crosby, Stills, Nash & Young, Phil Collins, Bette Midier, Kid Rock und vielen anderen wurde Atlantic in den Jahrzehnten seitdem zu einerder erfolgreichsten Firmen im Business, erst recht, nachdem die Ertegun-Brüder ihre Anteile 1967 an den Konzern Warner Brothers Seven Art verkauften (ihre Führungspositionen in der Company behielten sie, mit einem Teil des Kaufpreises leisteten sie sich später ein teures Hobby: die Gründung des Fußballteams Cosmos New York). Speziell der jüngere Ahmet war eine äußerst schillernde Figur,ein Bonvivant und Gentleman, der sich kleidete wie ein englischer Lord, aber bis ins hohe Alter ein untrügliches Gespür für Hits und den richtigen Umgang mit großen Popstars behielt. Er schrieb persönlich eine Handvoll R&B-Hits für sein Label und taucht (gespielt von dem US-Schauspieler Curtis Armstrong) auch in „Ray“ auf, dem Kinofilm über das Leben von Ray Charles. Ende 2006 stürzte Ahmet Ertegun nach einem Konzert, das die Rolling Stones in New York anlässlich des 60. Geburtstags von Bill Clinton gegeben hatten, und starb kurz darauf. Die vorliegende nicht ganz zweistündige Doku ist von der imposanten Gründerfigur Ertegun so dominiert, dass man eigentlich schon von einer Art Biografie-Show sprechen muss. Gespräche von Ertegun mit vielen seiner Stars (von Eric Clapton bis Wynton Marsalis) und anderen Branchentycoons wie Chris Blackwell und David Geffen. in denen er in Anekdoten über sein Lebenswerk Atlantic berichtet, machen gefühlte 70 Prozent der Spielzeit aus. Dazwischen gibt es Bilder aus Erteguns Leben und Konzert- und Videoclip-Ausschnitte von Atlantic-Acts. Solche Altmänner-Reminiszenzen können auch für sehr geschichtshungrige Zuseher ermüdend werden – und das passiert gelegentlich auch hier, zumal die Gesprächspartner Ertegun erwartungsgemäß stets respektvoll die Schulter klopfen und brav Stichworte geben. Dazu kommen zudem noch informative, aber eben cinematographisch auch nicht umwerfend aufregende Statements von Atlantic-Executives wie den Produzenten Jerry Wexler und Tom Dowd – eine ganze Menge spoken word. Doch es ist die Musik, die die Sache rettet: Der Mann hatte halt ein geniales Händchen für tolle Performer, und so erlebt man hier reichlich hochintensive Darbietungen. Speziell die frühen R&B-Ausschnitte von Aretha Franklin, Ray Charles und anderen sind mitunter hinreißend zu sehen, allerdings werden sie meist viel zu schnell wieder ausgeblendet. Doch weil Atlantic bis in die 90er-Jahre hinein mit seinem Repertoire stets am Puls des musikalischen Zeitgeists war, entsteht so am Ende doch ein farbiges und sehenswertes Kaleidoskop von gut 60 Jahren Popgeschehen.

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