The Felice Brothers – Tonight At The Arizona

Dylanologen können ja bekanntlich ein ziemlich engstirniges Völkchen ohne Humorverständnis sein, wenn man es ihrem Idol „His Bobness“ gegenüber am nötigen Respekt fehlen lässt. Ihnen sei gesagt: Gönnen Sie dieser Platte mehr Aufmerksamkeit als die ersten zehn Sekunden des Openers „Roll On Arte“. Denn wenn der Schreck über diese Stimme erst einmal verdaut ist, mit der die Felice Brothers ohne Probleme jeden Bob-Dylan-sound-a-like-Contest für sich entscheiden würden, beginnt sich langsam die kieselsteinig-morastige Erhabenheit des europäischen Debütalbums der Band auszubreiten. Diese Halbwüchsigen spielen zurzeit mit wankenden Refrains, beruhigend summender Harmonika und staubigen Harmonien die urwüchsigste und packendste Version des so genannten Americana. Es ist ein ausgesprochener Segen, dass das in den Vereinigten Staaten längst erhältliche musikalische Kleinod (dem dort bereits eine Veröffentlichung mit teilweise identischer Tracklist vorangegangen war) nun endlich auch bei uns erscheint. Auch wenn die meisten, die sich für diese Musik interessieren, bereits per Import bei Tonight At The Arizona zugeschlagen haben dürften. Die von einer Mischung aus Alttestamentarik und Beat-Novelle umflorte Band-Historie mag man dann gar nicht glauben. Drei von vier Felice Brothers sind angeblich richtige Brüder, insgesamt gibt es sogar derer sieben. Sie sollen zudem Söhne eines Zimmermanns sein. Des Weiteren sind die Burschen offenbar ungepflegt, lesen William Faulkner und Dostojewski, müssen sich mit einem erbärmlich unkomfortablen Schulbus als Heimstatt begnügen, und natürlich ist auf ihren Reisen stets reichlich Alkohol an Bord.Tatsächlich sehen diese modernen Hobos aus Upstate New York (The Band, Bob Dylan, got it?) schon auf dem Albumcover von Tonight At The Arizona aus wie eine Bande schmieriger Schnapsbrenner zu Zeiten der Prohibition in den 30er-Jahren. Soweit die Klischees. Doch dann hört man ihre mit einem überdurchschnittlichen narrativen Talent ausgestatteten Songs – und glaubt auf einmal alles! Hoffnungslose Geschichten aus dem Alltag der Unterprivilegierten. Wie jene im „Rockefeller Druglaw Blues“ vom unglückseligen Jungen, der ins Gefängnis wandert, als er beginnt, für die Arztrechnungen seiner kranken Mutter Drogen, genauer:

„fifteen grams of heroin, an ounce of speed“ zu verticken. Derartiges Liedgut spielten die Felice Brothers in einem abgewirtschafteten Shakespeare-Theater ein. Einmal schlug während der Aufnahmesessions der Blitz ein. The Felice Brothers musizierten ungerührt weiter, aber die Bandmaschine setzte für einen Moment aus. Kein Grund für die Brothers, den Titel einer Nachbearbeitung zu unterziehen: Auf der Platte ist der Aussetzer zu hören, selbst der grollende Donner des damaligen Gewitters dräut unheilvoll im Hintergrund des Liedes-und fügt sich perfekt in die Dramaturgie des Songs „Hey Hey Revolver“. Die Felice Brothers sprechen zu uns wie aus einer anderen Zeit, wie aus einer anderen Welt. Nach einer ergreifenderen Aufnahme wird man in diesem Jahr lange suchen müssen.

www.thefelicebrothers.com