Sufjan Stevens
Carrie & Lowell
Asthmatic Kitty/Cargo 27.03.2015
Die Platte als lebenslanger ruhiger Fluss. Der beste Singer/Songwriter dieser Jahre verabschiedet sich und kommt neu an.
Oregon, Oklahoma, Wisconsin, New York. Hatte Sufjan Stevens sein 50-States-Projekt nicht schon vor Jahren nach zwei grandiosen Alben als Witz und abrupt für beendet erklärt? Jetzt zieren gleich vier US-Staaten die Legende zum neuen Album, die Songs zeichnete Stevens in Portland (Oregon), Norman (Oklahoma) , Eau Claire (Wisconsin), Manhattan und Brooklyn (New York) auf – und dazu per iPhone in einem Hotelzimmer in Klamath Falls (Oregon).
CARRIE & LOWELL heißt das jüngste Werk, und es markiert einen erneuten Abschied für den hervorragendsten Songwriter unserer Tage, weg vom Vielschichtprogrockpostfolk-Theater auf THE AGE OF ADZ, das schon bald arg verdaddelt klang – hin zum Bekenntnis zum Song. Aus dem Sufjan Stevens, der auf der Ur-Version des ILLINOISE-Covers noch in der Arbeitskleidung von Superman am Sears Tower in Chicago vorbeisegelte und sich – nicht ohne Ironie – als Retter der Popmusik anbot, ist ein stiller Beobachter geworden. Er hält Rückschau und blättert in Gedanken an seine Herkunft in einem längst vergessenen Fotoalbum. Dessen Deckblatt zeigt ein Bild von Stevens’ Eltern Carrie und Lowell, das voller Flecken und Knickfalten ist. Eine Liebeserklärung, die sich auf mehreren Ebenen durch die Platte zieht.
Die Platte ist ein langer ruhiger Liederfluss ohne Stromschnellen, Stevens zirkelt einen Kreis des Daseins, er erzählt von den Zumutungen des Lebens, von der Traurigkeit, die Sex hinterlassen kann, von der Leere, die eine Zeit ohne Geheimnisse aufwirft. Wer in diese sanfte Musik hineinhorcht, wird Liturgien und bibelfeste Texte von Liebe und Verfehlung hören, vom Streben nach dem höheren Glück. „For my prayer has always been love. What did I do to deserve this?“, fragt sich der Sänger, vokale Kondensstreifen ans Firmament zaubernd, in „Drawn To The Blood“ und schließt die alttestamentarische Verräterin Delilah und den Propheten Elias ins Gebet gleich ein. Man muss jetzt kein Bibelstudium anstrengen, um diesen Sankt Sufjan des Pop zu verstehen, der Sound der Kontemplation, den Stevens bislang auf keinem Album so konsequent und durchgängig präsentiert hat, verrät viel von der Gläubigkeit des Musikers.
Wohin aber mit diesem Glauben, mit dem Einkehren und Innehalten? Stevens gibt keine Antworten, er lässt die Gedanken sprudeln und wenn das Sprudeln an ein Ende kommt, hallen die sakralen Keyboards noch lange nach, als wollte der Künstler uns Raum zur geistigen Verdauung geben. Sufjan Stevens kratzt mit seinen Songs nicht mehr die großen Kurven, die Klassiker wie „Chicago“ und „Casimir Pulaski Day“ in die Ewigkeit des Pop tragen werden, wenn es die denn gibt. Diese Songs hier sind state of the art aus den neuen Stevens-Staaten.