Suede
Berlin, C-Halle
Dekadenz und Drama in der Berliner C-Halle: Bei ihrem einzigen Deutschlandkonzert kämpfen die wiedervereinigten Britpop-Begründer gegen das Vergessen an.
Brett Anderson hat keinen Bock. Mit Tunnelblick stakst er durch die Backstagegänge. Das für vierzig Minuten angesetzte Interview wird noch vor der ersten Frage auf fünf Minuten verkürzt. Nein, über die heutige Setlist habe man sich keine großen Gedanken gemacht. Das Interesse der Band gelte ihrer vier Tage später stattfindenden Show in der Londoner O2-Arena. Heute findet ja nur das einzige Deutschlandkonzert der nach sieben Jahren Trennung wiedervereinigten Band statt. Kann einem schon mal egal sein, insbesondere wenn die aus dem ganzen Land angereisten Fans die Halle nicht ausverkaufen.
Fünf Stunden später stolziert Anderson zu den leiser werdenden Klängen des Einmarschsongs „Bodies“ der Sex Pistols auf die Bühne. Mit deutlichem Abstand zu seinen Kollegen als Letzter, wobei er im Kurzinterview zuvor noch darauf bestanden hatte, Bandfragen nur von der Band beantworten zu lassen. Er nehme schließlich keine Ausnahmestellung innerhalb der Gruppe ein. Das sieht das Publikum anders: Mit seinem ersten Schritt ins Licht wird Anderson gefeiert wie ein Heilsbringer. „This Hollywood Life“, ein Albumsong der meist verkannten Britpop-Platte der Neunziger, Dog Man Star, eröffnet das Konzert. Bis zu dessen Ende bleiben Hunderte Hände in der Luft. Anderson hat den Abend unter Kontrolle. Da kehrt der Bock zurück. Der 43-Jährige knöpft sich sein schwarzes Edelhemd bis fast zum Nabel auf, schwingt das Mikrokabel wie zu den Zeiten, als er noch keine Götter wie Damon Albarn und Liam Gallagher neben sich dulden musste. Nur der ikonische Mikroklopfer auf den Po bleibt aus.
Nach einem Bombardement an Hits – „Trash“ (passenderweise fliegen hier vereinzelt leere Pfandbecher auf die Bühne), „The Drowners“, „Animal Nitrate“, „We Are The Pigs“ – richtet Anderson erstmals das Wort ans Publikum: „Good evening Berlin, how are you feeling?“ Genügt. Hätte bei Robbie auch genügt. Die Stimmung ist längst wie bei einem Boyband-Konzert. Wie dort, auch hier viele Homosexuelle im Publikum, Joel Gibb von den Hidden Cameras ist auch da. Der heterosexuelle Anderson hat mit seinem genderbending-Auftreten in den frühen Neunzigern mehr für sie getan als jede andere Attraktion im Britpop-Zirkus nach ihm.
Mit „Pantomime Horse“ und „By The Sea“ wird das Programm kurz entschleunigt, nimmt mit „Filmstar“ und der vorzüglichen B-Seite „Killing Of A Flash Boy“ aber wieder Fahrt auf. Es folgen zwei Songs aus dem schlechtesten Album der Band, Head Music (ja, das ist mieser als das heute ausgesparte Konsenshasswerk A New Morning): „Can’t Get Enough“, auf dessen Darbietung sich die Band laut eigener Aussage freut wie auf keine zweite und „Everything Will Flow“, die lahme Kopie der großen Schnulze.
„Saturday Night“. Zur Zugabe: „The Wild Ones“ – man sollte endlich die Validität von „Won derwall“ als beste Britpop-Ballade überdenken. Und man sollte, wenn man im Sommer auf einer britischen Wiese zu Pulps „Common People“ tanzt, eine Gedenkminute einlegen und sich daran erinnern, wer uns Momente wie diesen zu großen Teilen ermöglicht hat.