Sonic Youth Geffen/Universal :: Rather Ripped

Die (gefühlt) 30. Platte der Alternative-Noise-Popper in 25 Jahren wirft drei Fragen auf und gibt eine Antwort darauf: „Sonic Youth? Echt? Klingt ja so poppig!“ Ist das jetzt Pop, oder was? Nicht daß die Musik von Sonic Youth nicht schon seit einem Vierteljahrhundert vom alten Spiel mit der Dynamik, von der irgendwann einmal neu gewesenen Interaktion von Pop und „Noise“, dem Kampf zwischen laut und leise, gelebt hätte – und Thurston Moore, Kim Gordon, Lee Ranaldo und Steve Shelley somit zum Ausgangspunkt einer Linie geworden sind, in deren direkter Folge dann Bands wie Dinosaur Jr. und Nirvana auftauchten. Sonic Youth haben sich von Anfang an schicken Strömungen und deren schicken Gegenentwürfen verweigert. Die Überwindung von Hardcore durch die Negation von Hardcore. Das mußte man sich erst mal trauen, damals in den frühen 8oern. Und jetzt das. Nicht daß es auf rather ri pped mehr als eine Sekunde des ersten Songs „Reena“ bedürfte, um diese Musik als Sonic Youth zu identifizieren. Weil auch hier das Dengel-Dengel-Dengel von gegen alle Regeln des Muckertums gestimmten Gitarren als übergeordnetes Erkennungszeichen funktioniert. Aber irgendwas ist andersauf RATHER ripped, dem (gefühlt) 30. Album von Sonic Youth. Zumindest in der ersten ! Halbzeit, vordem Seitenwechsel.

Es ist durchaus als gutes Zeichen zu wetten, wenn musikalisch umfassend informierte Menschen in das Zimmer kommen, in dem dieses Album gerade läuft, und die Was-ist-denn-das?-Frage stellen und dann, wenn sie die Antwort erhalten haben, ein ungläubiges „Sonic Youth? Echt? £m neues Album? Das klingt ja sopoppig!“ hervorbringen. Sonic Youth selber sehen das möglicherweise ganz anders und wollen nichts von einem Pop-Album wissen. Aber gegen die Behauptung, daß diese Lieder hier so nah am Standard-Songformat gebaut sind wie nie zuvor bei ihnen, können sie sich auch nicht wehren. Für eine Band, deren musikalische Variationen – auf ihren songorientierten Major-Label-Platten – in den vergangenen 15 lahren nur unter dem Mikroskop zu erkennen waren, ist rather RIPPED mit seinen Standard-Songs zwar kein musikalischer Urknall, aber ein kleines Sensatiönchen geworden. Daß die Gitarren am Anfang von „lncinerate“ geradezu beschwingt dengeln, muß der Ausdruck einer in diesem Artschool- Avant-Universum nie gekannten Lebensfreude sein. Wie in „TurqoiseBoy“, vielleicht dem subtilen Übertut des Albums, eine traumhafte Gitarrenmelodie in Richtung Pop davonsegelt, ist halt einfach ganz große Klasse. Kann es sein, daß es selbst im New Yorker UntergTund irgendwann einmal Frühling wird, mit Säften, die steigen, Blümlein, die sprießen, Vöglein, die singen, und allem, was so dazugehört? Zirkulierende Gitarrenfiguren formieren sich zu poppigen Melodien, die man – ja wirklich – mitsummt. Dazu der leicht gehetzte Gesang von Kim Gordon, mit einer Stimme, die hier noch eine Spur mädchenhafter wirkt als sonst.

Vielleicht liegt diese neue Leichtigkeit ja an Jim O’Rourke. Der Hansdampf in allen Avantgarde-Gassen, der berüchtige Kollaborateur, dem kein Genre fremd ist, der erst assoziiertes, dann vollwertiges Bandmitglied war, ist jetzt nicht mehr dabei. Warum, sagt niemand so genau. Er will Filmregisseur werden. Heißt es. Durch die Vollmitgliedschaft bei Sonic Youth habe er seine Dutzende Nebenprojekte vernachlässigt. Heißt es. Er will studieren. Heißt es. Sonic-Youth-Gitarrist Lee Ranaldo redet von einer „muskelstrotzendenSupergroup“, zu der sich die Band mit O’Rourke entwickelt habe, und von dem befreienden ersten Auftritt von Sonic Youth als Quartett nach mehreren lahren im April in Paris. Aber das kann’s ja auch nicht sein. Weil O’Rourke kein Popverhinderer ist, sondern einer, der selber die Kunst des Popsongs auf Soloalben wie EUREKA zur Vollendung gebracht hat.

Anstatt sich den Kopfüber Fragen zu zerbrechen, die nicht beantwortet werden können, freuen wir uns lieber über RATHER RIPPED und an diesen Songs und ihrer unverschämten Simplizität, die eine unverschämte Komplexität auf einem anderen Level bedeutet. Freilich kommt’s auch auf dem neuen Album dann und wann wieder zu der (mittlerweile im Sonic-Youth-Universum nicht mehr allzu überraschenden) Wende zu einer kleinen Lärm-Musik, damit man wenigstens einmal in diesem Rahmen „typisch Sonic Youth“ schreiben darf. Und das ist ja dann doch alles irgendwie Pop. Vom „in Würde altern“ im Rock’n’Roll wollen wir gar nicht erst anfangen. Nicht nur deshalb: Mit Sonic Youth ist weiterhin zu rechnen. www.sonicyouth.com