„Schneemann“-Kritik: Der größte Schock ist Val Kilmers Gesicht
Skandinavische Thriller haben seit Jahren Hochkonjunktur, zumindest im Buchregal. Im Kino funktioniert Jo Nesbø trotz Star-Ensemble nicht, was an schlampiger Regie-Arbeit liegt.
Warum ist Harry Hole eigentlich so ein Kriminalgenie? Leser der Nesbø-Buchvorlage kennen wahrscheinlich die Antwort, wissen um die unorthodoxen Wege, mit denen der Ermittler Mördern und anderen Verbrechern auf die Schliche kommt. In der Nesbø-Adaption „Schneemann“ von Tomas Alfredson bleibt das Genie des Protagonisten allerdings nur bloße Behauptung. Statt spannender Ermittlungen gibt es nur einen Michael Fassbender, der als besoffener Hole versucht, einen zu oberflächigen Thriller zu retten.
Alfredson hat zuletzt 2011 bewiesen, wie akkurat er Figurennetze spinnen kann, den Zuschauer dazu mit Details und falschen Fährten zum Mitdenken anregt. Mit „Dame, König, As, Spion“ machte er sich damals weltweit einen Namen. „Schneemann“ kommt vergleichsweise schlampig daher, der Regisseur verlässt sich auf die schneebedeckte Landschaf Norwegens, die passend gefilmt schon für offene Münder sorgen wird. Das Problem: Ensemble und Geschichte verlieren sich im Eis Skandinaviens.
Beweisorgien und fehlender Nebel
Harry Hole ist ein versoffener Ermittler in Oslo, braucht dringend einen neuen Mordfall, damit er sich nach der Trennung von seiner Frau nicht zu Tode langweilt (und säuft). Zum Glück treibt sich ein Frauenmörder in der Stadt um, der für viel blutigen Schnee sorgt und Notizen direkt an Hole adressiert – und der putzigerweise Schneemänner am Totort zurücklässt. Das Motiv des Täters? Zunächst unklar, aber anscheinend scheint es der Täter auf die Mütter von Patchwork-Familien abgesehen zu haben.
Hole ermittelt also. Ganz ohne Genie, dafür aber mit einer Partnerin (Rebecca Ferguson), die ihre persönlichen Verwicklungen in dem Fall griffbereit und für jeden Kollegen zugänglich im Aktenschrank lagert. Die Figuren in diesem Thriller, der verzweifelt smart sein möchte, verhalten sich zu unnatürlich, bewegen sich und handeln als würden sie auf einer Bühne stehen. Das sieht zwar jederzeit gut aus, die vielen amerikanischen und britischen Schauspieler tragen aber nicht gerade zu einem authentischen Krimi in Norwegen bei.
Der größte Schock abseits eines abgeschnittenen Kopfes: Val Kilmer, der in Rückblenden den Cop Rafto spielt. Der ehemalige Batman ist kaum zu erkennen, auch ganz ohne Maske und viel Make-up. In weiteren Rollen sind J.K. Simmons und Charlotte Gainsbourg zu sehen, das Drehbuch, das laut Alfredson aber nicht komplett verfilmt wurde, stellt das Luxusensemble aber vor keine großen Aufgaben.
Und dabei sind die Darsteller nah dran beim Zuschauer, der durch den hier zu lösenden Fall kaum merklich gefordert wird. Schon weit bevor Harry Hole auf die Spur des echten Täters kommt, hätte der erfahrene „Tatort“-Zuschauer schon längst die Handschellen klicken lassen. Alfredson hat den vielen Schnee nicht dafür genutzt, um seinem Publikum die Sicht zu vernebeln und präsentiert am Ende sogar noch eine Beweisorgie im Haus des Killers, der natürlich Akten zu jedem seiner Opfer auf dem Schreibtisch liegen hat. Sonst wäre Harry Hole, das vermeintliche Genie, wohl noch länger im Kreis gelaufen.