Riot Spears
LUCK
Ladies & Ladys (VÖ: 29.11.)
Riot Spears nennt sich das Trio aus Berlin, das in ihrem zweiten Album LUCK die 90er-Grunge-Gitarrenwand aus voller Brust bis zur Heiserkeit anschreit. Dafür braucht man Kraft und Wut. Und von beidem gibt’s auf dieser Platte genug.
Ganz im Zeichen des DIY-Charmes kommt diese Platte nicht etwa mit einem Booklet daher – Lyrics und Artworks verschiedener Illustrator:innen gibt es gleich als Fanzine. So wie auf dem Schulhof, als es noch kein Internet gab und sonst auch überhaupt nichts, woran man sich orientieren konnte. In diese Zeit transportiert LUCK zurück, mit Knoten im Kopf und Nirvana im Walkman.
Allerdings ist es nicht einmal per se ein Coming-Of-Age-Album. In seiner Thematik bleibt es zeitlos: Selbstverachtung („Rosy Maple“). Manipulative Beziehungen („Not Amused Gaslight Pizza“). Entfremdung von der Außenwelt („Amygdala“). Das Album widmen Riot Spears denjenigen, die nicht gehört werden. Und denen, die sich nicht äußern können – so heißt es im Fanzine. Zugegeben: Schwere Kost, die der musikalische Mantel aus Slint-, Hole– und Garbage-Klangfetzen nur wenig abfedert.
Die Kontrolle zurückgewinnen
Im Opener „Fools“ beklagt Riot Spears die dystopischen Zustände in den sozialen Medien: Schönheitsstandards, Hass und Hetze, Falschinformation. Dabei bricht das gut verträgliche Pop-Punk-Riff im Chorus in unberechenbares Sound-Chaos aus – man versteht schnell, woher der „Riot“ rührt. Unverkennbar dabei: Martha Kamraths Gesang. Wie einen Kaugummi zieht sie die Vokale der Wörter in die Länge und wechselt ohne Vorwarnung von Klargesang in gurgelnde Growls. Das ist nicht immer schön. Allerdings hat eben auch niemand behauptet, dass LUCK ein Zuckerschlecken wird.
In „Faceless Priceless“, einem Song über unerwiderte Gefühle und Ablehnung, ringt sich die Sängerin gegen Ende zu einem angewiderten „You are worthless“ durch. Trotz Trostlosigkeit und Ohnmacht ist der Kampf für die Selbstermächtigung auf diesem Album lange nicht vorbei. Wie Kamraths Stimme reißt auch das Selbstwertgefühl aus, überschlägt sich und kommt erst zwischen kreischenden Gitarren im Beckengewitter wieder zum Stehen. Aber es steht.
Ein Glückwunsch aus Verbundenheit
Diese LP ist für diejenigen, die „a little more than sad“ sind („Bug“) und leicht übersehen und zertrampelt werden können. Für die, die sich permanent mit anderen vergleichen („Hot“) und darüber krank werden. Und für die, die in depressiven Phasen von ihren Kopfkissen verschlungen werden. Wie in „Excuse me, Radiohead“, das zunächst wie ein harmloses Wiegenlied beginnt und dann als verschwitzter Albtraum endet. Und auch wenn das bei Grunge-Platten eher selten der Fall ist, zeigt Riot Spears eine ihrer großen Stärken vor allem in diesen andächtigen Momenten.
LUCK von Riot Spears ist Musik für Bewohner:innen einer Schneekugel. Damit die Außenwelt in den Genuss der dicken weißen Flocken kommen kann, muss man diese kleine Welt einmal auf den Kopf stellen – oder kräftig durchschütteln. Rückt man sie dann wieder zurecht, geben sich Außenstehende schnell zufrieden: „Ach schau, wie hübsch!“ Das Innere jedoch bleibt orientierungslos und benommen zurück. Bis es sich erholt – um dann erneut aus den Angeln gerissen zu werden.