Queer Noises 1961-78 :: Sampler & Compilations

Seit Schwulsein ein weiteres schrilles Element im Unterhaltungslotto des Event- und Beschimpfungsfernsehens ist, tut eine Platte wie diese wirklich Not. Sie erzählt, forscht und räumt ein Feld von hinten auf, das immer noch als albernes Zerrbild in einer Gesellschaft existiert, die homoerotische Beziehungen, so lang ist’s gar nicht her. einmal an ihren untersten Rand drückte. Der britische Journalist und Autor Jon Savage („Englands Dreaming“) hat in Zusammenarbeit mit dem Münchener Trikont-Label vorbildliche Arbeit geleistet: Queer Noises stellt Geburt und Lümmeljahre der Queer Culture vor – von den ersten schwulen Entertainern der frühen Sixties wie dem Travestie-Künstler Jose aus San Francisco („At The Black Cat“) bis hin zum 78er Dancefloor-Triumph von Sylvester, „You Make Me Feel (Mighty Real)“. Zwischen diesen beiden Eckpunkten spannt Savage ein Kompendium schwuler Popmusik auf, in dem „Sexuality“ in allen Farben des Regenbogens schillern darf – Musical. Folk, Beat, Punk, Disco. Statt „Y.M.C.A.“ hören wir den Ramones-Song über einen Stricherjungen, Kinks, Tornados und die Valentino-Single „I Was Born This Way“. Ein paar Klassiker bleibt diese Auswahl schuldig, warum fehlen eigentlich David Bowie und Lou Reed hier? Savage läßt offen, ob es sich dabei nur um Lizensierungsprobleme handelt, Queer Noises gewährt aber immer wieder Einblicke in die Strategien schwuler Künstler, sich von den Zumutungen, in einer ihnen feindlichen Umgebung zu leben und zu arbeiten, auf spielerische Art zu befreien. Es gibt raffinierte Umdeutungen bekannter Lieder („These Boots“ von Teddy & Darret). Showtunes, die nicht dem Kitsch-Klischee entsprechen, das wir ohne Frage von schwulem Entertainment haben (Zebedys „The Man I Love“], der „White Trash Hillybilly Trick“ von Peter Grudzien, der wie ein fernes Echo auf den frühen Johnny Cash klingt, irgendwo im Nirvana für gleichgeschlechtliche Gefühle. Weil hier Mikrokultur mitsamt ihrer feinen Bedeutungsschichten vorgestellt wird, gibt’s auch ein Glossar zur Begriffsklärung: von „cruising“, „camping“, „Coming out of the closet“ bis zur Gleitcreme „KY Lubricants‘, die dem kabarettistischen Gekabbel der Brothers Butch im Song „Kay Why?“ als Vorlage diente. Dann ist erstmal Schluß. Für die 80er Jahre bis heute muß ein weiteres Buch aufgeschlagen werden; darin dürften der Agit-Beatder Communards. Gender-Debatte und Rollenspiele in Pop und Techno verhandelt werden. Es könnte bei einigen der überragenden Songwritern dieser Tage enden: Joel Gibb von den Hidden Cameras, Stephin Merritt (Magnetic Fields) und Antony.

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