PJ Harvey :: Let England Shake
Folk/Rock/Experiment: Auf ihrem achten Soloalbum sorgt sich die Künstlerin um ihre Heimat England.
Im Hakenschlagen war sie schon immer gut. Aber einen solch radikalen Perspektivwechsel wie mit Let England Shake hat sich Polly Jean Harvey bislang noch nicht geleistet. Für ihr achtes Album gibt sie die Binnensicht auf und richtet den Blick aufs große Ganze. Nun sorgt sie sich nicht mehr ums Ich, sondern um: England. Mit gutem Grund. Denn Harvey muss feststellen, dass es um ihr Heimatland kaum besser bestellt ist als um ihr ganz persönliches Seelenheil, das sie bis zu diesem Album vornehmlich beklagte. „England’s dancing days are done“, heißt es nun im Titelsong, und gleich darauf in „The Last Living Rose“ besingt sie jenes „beautiful England“ aus alten Zeiten, die glorreiche Seemacht, die nun völlig heruntergekommen ist. Krieg überall, Mord und Leichen, und die geplagte Natur schlägt auch noch zurück. „Death was everywhere“, singt PJ Harvey und, an anderer Stelle, „cruel nature has won again“. Sie will das nicht politisch verstanden wissen, Tatsache aber ist: PJ Harvey hat ihre eigene Krankenakte erst einmal weggelegt und stattdessen in letzter Zeit öfter mal Zeitung gelesen. Nun fragt sie, Verzweiflung in der Stimme, was denn die glorreiche Frucht dieses Landes sei und der Chor antwortet ihr: natürlich die Kinder.
Die inhaltliche Veränderung wird von einem musikalischen Stilwechsel begleitet. Zwar setzt Harvey mit dem in einer Kirche eingespielten Let England Shake einerseits den Weg fort, den sie vor mehr als drei Jahren mit White Chalk eingeschlagen hatte: Das meist balladeske Tempo ist erhalten geblieben, aber nicht die damals so depressive Grundstimmung. Das Klavier, das zu spielen Harvey erst lernen musste, um damit das vorangegangene Album zu prägen, ist weitgehend verschwunden. Stattdessen treiben nun Xylofon und Handclaps, Trommeln und Tröten ihr Unwesen, elektronische Elemente scheinen kurz auf, um einen Kontrapunkt zu setzen, oder um ein Lied, das in der eigenen Betroffenheit zu versinken droht, in eine neue Richtung zu entführen. So klingt ein Folksong wie „On Battleship Hill“ plötzlich wie ein japanisches Klagelied, und durch „The Glorious Land“ gräbt sich eine Trompete, die die Kavallerie zum Angriff zu rufen scheint. Im Hintergrund sägt währenddessen die Autoharp, auf der Harvey Let England Shake zum großen Teil komponiert haben soll. Das zitherähnliche Instrument dominiert zwar nicht den Gesamtsound, aber sein unheilvoller Klang sorgt stets für ein gewisses Frösteln, für ein Grollen im Hintergrund. Es ist kaum zu hören, nur eine Ahnung von einem Bösen, das hinter den Tönen lauert, das die Leerstellen füllt, die Pausen verklebt. Nein, es steht gar nicht gut um England. Abgesehen von PJ Harvey natürlich: Die war schon lange nicht mehr so aufregend.
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