Review - Seite 271 von 2065 - Musikexpress

Turbo/Rough Trade

Fulminanter Techno aus Schottland. Irgendwann gewöhnt man sich an das Altwerden. Und zwar dann, wenn die nächsten Jungtalente in den Startlöchern stehen und Platten veröffentlichen, zu deren Referenzen eher ihre Väter getanzt haben. So auch bei den beiden Schotten Calum Macleod and Liam Robertson, die vom kanadischen Elektro-House-Guru Tiga entdeckt und für sein Label Turbo unter Vertrag genommen wurden. Mit Anfang 20 gelingt den beiden nach einigen EPs jetzt der ganz große Wurf. Ein zutiefst tiefes und britisch klingendes Techno-Album, das seine Wurzeln in den frühen 90er-Jahren hat. Ein Album, das den melodischen Knüppel als Taktstock missbraucht („Uqwenmokdan“) und so an Größen wie Surgeon und dessen Projekt British Murder Boys erinnert. Industrial und Acid, so warm und gnadenlos wie in „Khevsurian“ und „Topless Female Nudity“, die an den neuen, härteren Techno anknüpfen, den zum Beispiel der Londoner DJ und Produzent Jamie „Blawan“ Roberts in letzter Zeit erfolgreich wieder hochgeholt hat. Dazu gibt es eindeutige Bezüge in Richtung Jungle wie im wahnwitzigen Rave-Spektakel „Future 1“, um auch wirklich jeden abzuholen, der an der Geschichte des britischen Techno interessiert ist. Referenzen an die musikalische Gegenwart gibt es auf GHOST SYSTEMS RAVE auch. Zum Beispiel in dem verdächtig nach Actress klingenden „Roche Lobe (System)“ mit seinen experimentellen Bleep-und Noise-Spielereien. Clouds zeigen auf GHOST SYSTEMS RAVE, dass sie ganz genau wissen, wie Vergangenheit und Gegenwart verknüpft werden müssen, um im Techno des laufenden Jahres Akzente zu setzen. Das ist Anerkennung wert – und den Zwanziger für das Doppel-Vinyl.

Parlophone/Warner (VÖ: 30.8.)

Totgesagte leben länger. Oder: Die wundersame Genesung des Patienten Indie-Pop am Beispiel des dritten Babyshambles-Albums. Die gute Nachricht im Zusammenhang mit SEQUEL TO THE PREQUEL: Es gab keine Nachrichten über Pete Doherty im Vorfeld. Und dieses Vorfeld, also die Zeit zwischen der Ankündigung des dritten Babyshambles-Albums und seiner Veröffentlichung, war denkbar kurz. Keine Meldungen über Einbrüche, Diebstähle, Drogen-und Alkoholexzesse, Gerichtsprozesse, verpasste und verpatzte Auftritte, keine Skandälchen, keine Bilder aus Blut, keine Fotos von koksenden Model-Freundinnen aus dem Aufnahmestudio. Um Pete Doherty ist es ziemlich ruhig gewesen in den vergangenen Jahren. Zumindest in den Medien, die gerne und viel über die öffentliche Person Doherty berichten und selten über seine Musik. Also diesmal kein Absuchen der Texte mit der Lupe nach autobiografischen Bezügen, um sie mit aktuellen Meldungen aus der Yellow Press abzugleichen. Sieben Jahre nach dem letzten Babyshambles-Album SHOTTER’S NATION und vier Jahre nach Dohertys Solo-Album GRACE/WASTELAND werden wir wieder einmal an eine eigentliche Selbstverständlichkeit erinnert: Der sogenannte Britpop ist schon lange den Händen der „Class of 1992“ entrissen worden und wird auf ganz anderen Feldern verhandelt. Nach DOWN IN ALBION (2005), das von Mick Jones produziert wurde, saß Stephen Street zum zweiten Mal nach SHOTTER’S NATION (2007) am Produzentenpult. So viel vorab: Jeder einzelne Song auf SEQUEL TO THE PREQUEL wäre der einsame Höhepunkt auf den Alben Nummer zwei, drei und vier der anderen Überlebenden „Stars of 2005“. Man kann auch sagen, wer Doherty und sein Songwriting nicht erst nimmt, der sollte sein Verhältnis zur Popmusik grundsätzlich infrage stellen.

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