Review - Seite 270 von 2065 - Musikexpress

Indie-Pop: Keine Dramen, keine großen Melodien: Thees Uhlmann erzählt auf seinem zweiten Solo-Album Geschichten statt von Gefühlen.

Der traut sich was. „Die Bomben meiner Stadt machen boom boom boom“, singt Thees Uhlmann ziemlich zu Beginn seines zweiten Solo-Albums, versetzt sich im selben Song in Jesus und ist auch um Backgroundchöre nicht verlegen. Vielleicht ist diese direkte und lautmalerische Art des Storytellings seiner Zusammenarbeit mit Casper geschuldet, vielleicht sind Uhlmann aber auch einfach die Ideen ausgegangen. An der Motivation scheitert #2 nämlich nicht: Uhlmann erzählt mit Bluesrock-Instrumentarium von Zugvögeln statt von Lachsen, von Kriegen und von Townships, von Genossen am Tresen und Reihenhaussiedlungen, widmet sich der Anatomie des Feuers und eines Datums, gibt Geschichtsstunden, schaut endgültig nach außen statt nach innen, hat sogar einen Springsteen-Moment („Zerschmettert in Stücke [im Frieden der Nacht]“), den er schon auf seinem Solodebüt so provozierte -und doch hat man sich Tomte und deren gefühlige Gewichtigkeit selten mehr zurückgewünscht. Uhlmann hat einen Haufen Ohrwürmer geschrieben („Weiße Knöchel“, „Trommlermann“), wie sie gleichzeitig egaler kaum sein könnten. Zwischen Fremdscham, Heiterkeit und attestiertem Selbstbewusstsein mäandert somit auch das Gros dieses Albums; Klavier, Orgeln und Tobi Kuhns Produktion (Sportfreunde Stiller, Die Toten Hosen, Tomte) tun ihr Übriges. #2, dieser tongewordene Freischwimmer am Reißbrett, dürfte Uhlmann selbst sehr gut tun. Seinen Fans nur bedingt.

Zeit für Trauer und Drama mit dem Existenzialisten-Pop von Money.

Unterhalten wir uns ein wenig über Erwartungshaltungen. Darüber, wie Vorfreude sie auf unfair hohe Podeste heben kann von Ausmaßen des Mount Everest. Money aus Manchester haben 2012 zwei umwerfende 7-Inches veröffentlicht. Allen voran die todtraurige Piano-Nummer „Goodnight London“ mit ihrem Kammerfeeling, dem Knarren und Knistern, den Dialogen im Hintergrund. Es ging um die Suche nach Bedeutung des Menschen in der wirren, komplexen, korrupten und verdorbenen Welt. Wo steht die Liebe? Was bedeutet sie überhaupt noch? Und wer entscheidet eigentlich, wie ich mich verhalte und was mit mir passiert? Das alles ohne die geballte Faust der Rebellion oder epische Anklage. Dafür mit dem Gefühl von Aufgabe, Kapitulation und Akzeptanz. Für das Album wurden die Songs (u. a. das hymnische Gewaltstück „Who’s Gonna Love You Now“) neu aufgenommen, und auch wenn die 2.0-Versionen auf anderem Level operieren, besitzen sie genügend eigene Stimmung, um zu bestehen. THE SHADOW OF HEAVEN ist der erhoffte große Wurf, auch weil die neuen Songs größtenteils neben den Platzhirschen bestehen können. Da wären allen voran die verträumte Pop-Nummer „Bluebell Fields“, auf der Sänger Jamie Lee zeigt, dass er genau weiß, wann er seine Stimme in welche Richtung zu bewegen hat und das Highlight „Cold Water“, das früh im Song für einen Gänsehaut-Ausbruch sorgt. Sprechen wir darüber, wie schön es ist, wenn nach den Erwartungshaltungen auch die Realität den Mount Everest erklommen hat. Sprechen wir über Money.

Kosmische Musik trifft auf Dub trifft auf Techno trifft auf Ambient: Greg Haines kehrt seinem Frühwerk den Rücken zu und brilliert.

Danke, Denovali Records. Ganz allgemein für die Passion, Musik als Kunst form zu betrachten, für die einzigartigen Swingfeste und im Speziellen für die liebevollen Artworks der Platten. Und das Lob will einfach nicht verstummen, gerade weil sich das Label aus Wenden im Frühjahr dazu entschied, die ersten drei LPs von Greg Haines wieder zu veröffentlichen. Die Alben sind beinahe als Vermächtnis zu verstehen, denn für sein neues Projekt WHERE WE WERE distanziert sich der britische Wahl-Berliner von seinen klassisch inspirierten Kammerspiel-und Streicherelegien und wendet sich analogen Synthesizern zu. Bearbeitet durch alte Bandmaschinen im Studio von Nils Frahm sind acht Stücke als Produkt einjähriger Improvisation entstanden, die ein kohärentes Ganzes ergeben. Haines betritt einen für ihn neuen Pfad aus Rhythmus-Schichtungen sowie akustischen Einsprengseln und bleibt doch Meister der Struktur. Er sucht vor allem die Dualität als Prinzip: laut und leise, hier pulsierend, dort entschleunigt, beinahe immer cineastisch anmutend, betrübt und glückselig zugleich. Piano-Rührseligkeit, Vibrafon und Percussions werden in atmosphärischen Soundscapes aus Drones, Delays und elektroakustischen Beats konserviert, sodass Clint Mansell, Fela Kuti, Tangerine Dream und Moritz von Oswald schemenhaft als Referenzmodelle auftauchen. WHERE WE WERE entfaltet eine Kraft, die das gesamte Portfolio menschlicher Emotionen abbildet.

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