Old Grey Whistle Test
An den archäologischen Ausgrabungen betagter Fernsehshows scheinen sich global gleich mehrere Fan-Generationen zu delektieren. Machen doch die Archivfunde einen nicht unbeträchtlichen Anteil auf dem internationalen DVD-Markt aus. Im Gegensatz zu manch verschollenem Schatz der frühen Popmusikjahre liegt die damals nur für ein seriöses Rock-Insider-Publikum bestimmte, von 1971 bis 1987 ausgestrahlte BBC-Sendereihe THE OLD GREY WHISTLE TEST glücklicherweise noch komplett vor. Mittlerweile veröffentlichte der staatliche britische Rundfunk drei hervorragend aufgemachte wie inhaltlich überzeugend kompilierte, allerdings nur per Import erhältliche DVD-Ausgaben dieser wöchentlichen Musikshow, die mit wechselnden Moderatoren in einem winzigen Studio in Shepherds Bush aufgezeichnet wurde. Konzeptionell dem späten „Beat Club“ von Radio Bremen nicht unähnlich, verzichtete Produzent Mike Appleton allerdings völlig auf den psychedelischen Schnickschnack seines deutschen Kollegen Mike Leckebusch. Unter tristem Studiolicht in nüchterner Kulisse und zumindest in den Anfangsjahren auch ohne Publikum gab sich die Creme de la Creme jener Ära ohne Netz und doppelten Boden die Ehre: John Lennon. Humble Pie, The Who. Johnny Winter, Edgar Winter Group, Steppenwolf, Randy Newman und Captain Beefheart schlugen dabei mit ebenso reizvollen Live-In-The-Studio-Versionen auf, wie die damaligen Newcomer David Bowie, Elton John, Alice Cooper, New York Dolts, Roxy Music, The Sensational Alex Harvey Band, Supertramp, Lynyrd Skynyrd, Little Feat. Tom Petty & The Heartbreakers und die Wailers – noch in der Urbesetzung mit Peter Tosh, Bunny Wailer und Bob Marley. Hauptmoderator Bob Harris hatte stets ein Herz für Außenseiter und lud auch Nischenkünstler zwischen Folk, Country, Pop, Jazz und Rock wie Kevin Ayers Whole World, Lindisfarne, Judee Sill, Roy Harper, John Martyn. Tim Buckley, Bonnie Raitt, Tom Waits, Be Bop Deluxe, Brinsley Schwarz, Fairport Convention, Janis lan, AI Stewart, Stealers Wheel und Heads, Hands & Feet in die Sendung ein. Dass die beim durchschnittlichen englischen TV-Konsumentenwenig populäre Sendung durchaus auch als meinungsmachender Multiplikator funktionieren konnte, bewies ein fulminanter Auftritt der bis dato unbekannten holländischen Formation Focus, denen mit einem grandiosen Medley aus „Sylvia“/ „Hocu5 Pocus“ über Nacht der Durchbruch auf der Insel gelang. Und wer hätte gedacht, dass die Kiss-Hymne „God Gave Rock’n’Roll To You“ im Original von der britischen Formation Argent stammt? Auch die Punk- und New-Wave-Revolution ab Mitte der Siebziger ging nicht spurlos an dem zumeist leidenschaftlich kontrovers diskutierten Forum vorüber: Protagonisten wie Siouxsie & The Banshees, The Patti Smith Group, Public Image Ltd.. XTC, Talking Heads, Blondie. Iggy Pop, The Damned, The Ramones, The Teardrop Explosion. The Jam, Joe Jackson, Japan. Aztec Camera, Orange Juice, R.E.M. und The Jesus & Mary Chain beehrten die Show mit zum Teil atemberaubenden Performances. Als attraktive Zugabe gibt es zahlreiche aktuelle Augenzeugenberichte legendärer Rockgrößen und superrare Antik-Interviews mit Elton John [schüchternl, Mick Jagger Igesprächig], John Lennon laufgekratzt], Keith Richards (weggetretenl. Robert Plant (sympathisch) und Bruce Springsteen (ungestüm). Ausgabe Nummervier ist übrigens für den Herbst 2004 geplant. Essentieller Stoff!
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