Album der Woche

Noga Erez

THE VANDALIST

Neon Gold/Atlantic/Warner (VÖ: 20.9.)

Die Chefin der Knallkonsonanten seziert den Zeitgeist der digitalen Transformation und findet dabei immer mehr zum Pop.

Ein kurzes Streichersample zieht den Vorhang auf, und Noga Erez, die Queen of Cool aus Tel Aviv, springt auf die Showtreppe, ohne lange zu fackeln. „Ladies and Gentleman, ihr habt mich ja schön blöd aussehen lassen“, rappt sie leicht nuschelnd auf ein Klavier-Stakkato, dazu knallt funky die Bassline. Die Anmache ist eine Antwort auf Shitstorms der jüngsten Vergangenheit. Als Israelin ist alles, was sie von sich gibt, politisch. Noga hält dem eine „Stand your Ground“-Attitude entgegen, mit der sie als Künstlerin, als Frau und als Jüdin ihren Boden verteidigt.

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Dabei kommt dieser Badass-Frau, die Jazz und Komposition studiert hat, die erstaunliche Fähigkeit zugute, bei scheinbar kaum geöffneten Lippen das Rap-Maul aufzureißen, um sich von dort in einen zart gesungenen Refrain fallen zu lassen. Messerscharf sezieren ihre Lyrics den Zeitgeist unserer digitalen Transformation. Nach dem Titelsong und Opener „Vandalist“ galoppiert sie locker in den Breakbeat-Reggaeton von „Dumb“, das nach einigen Fallbeispielen die Möglichkeit einräumt, selbst die Doofe zu sein. Auch die Wortspiele in „PC People“, einem Vocoder-Sprechgesang à la Manu Chao, zeigen ihre Kernkompetenz: Die Frau ist ein lebender Rhythmuscomputer, eine Zählmaschine. Ihrem Timing dienen die Plosivlaute, mit denen sie ihre kybernetischen Tracks absteckt. Mühelos und in einem Affenzahn entgleiten ihr Wortspiele aus der Old und New School des HipHop und clevere Rhymes aus Eminems Sprechschule. In „­Nogastein“ scheint sie gar mit dem unlängst zu Grabe getragenen Slim Shady zu schäkern.

„Come Back Home“, das kann den heimkehrenden Geliebten meinen – oder die Geiseln der Hamas

Der Wechsel nach dem zweiten Album vom Indielabel City Slang zum Major Atlantic hat Erez nicht geschadet. Die Rapperin, Komponistin, Produzentin und Sängerin macht nach wie vor Musik, wie es ihr beliebt: sperrig, eigensinnig und unwiderstehlich. Es ziehen sich mit Harmoniefolgen und extrem üppigen Streicher- und Bläser-Arrangements mehr Spuren klassischen Pops durch die Tracks, ohne dass die 31-Jährige eine Verniedlichung ihrer Person oder Stimme erlauben würde. 2017 musste man diese Gangsterbraut mit Jazzstudium noch zur Kunstform „Album“ überreden. Heute schwelgt auch sie gern im Popformat von Songs wie „Smiling Upside Down“, dem pompösen James-Bond-Breitwandwandformat von „Godmother“ oder „Come Back Home“, womit der heimkehrende Geliebte, aber auch die Geiseln der Hamas ge- meint sein können.

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Für Neid auf die vielen Talente von Noga Erez gibt es keinen Grund. Sie gehört zur Generation Therapy, die gelernt hat, sich über Depressionen, Therapie, schlaflose Nächte, Wut und Verzweiflung auszutauschen. Das geistert leitmotivisch durch THE VANDALIST und bildet lyrische Identifikationsenzyme zum Andocken. Robbie Williams kennt das auch und kommt in „Danny“ für ein verliebtes Duett vorbei. An dessen Ende ein Freund anruft und ihr rät, den vorletzten Song „Mind Show“ als Brief an sich selbst zu schreiben, mit dem sie ihre Versagensängste bekämpft und sich Mut macht. „Niemals“, singt sie darauf sanft im Astrud-Gilberto-Stil, „wärst du zu anderen so hart wie zu dir selbst.“ Am Ausgang dieses verführerischen Knaller-Albums rappt uns Noga Erez noch eine aufschlussreiche Liste ihrer kulturellen Wegbereiter und Freunde ins Ohr. Der Vorhang fällt, und wenn es Gerechtigkeit gibt, ist ein Star geboren.

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