Noel Gallagher’s High Flying Birds :: Sour Mash/Indigo
Orchestraler Erwachsenenpop: Man hätte es nicht für möglich gehalten, aber ohne Liam ist „Big Brother“ nur halb so gut.
15 Jahre lang wies er Fragen nach einem Soloalbum mit „Kein Bock drauf“ zurück. Dann, Anfang Juli, kündigte „The Chief“ gleich zwei Soloalben an. Zumindest dem ersten der beiden, Noel Gallagher’s High Flying Birds, glaubt man, die „Kein Bock“-Attitüde anzuhören. Vier der zehn Songs sind teilweise zehn Jahre alte Oasis-Demos: „Everybody’s On The Run“, „If I Had A Gun …“, „(I Wanna Live In A Dream In My) Record Machine“ und das seit Jahren mit Superlativen beworbene „Stop The Clocks“, das ein guter Song, aber natürlich nicht der versprochene Geniestreich ist. Dazu mag der 44-Jährige seine eigene Stimme nicht recht leiden. Doch anstatt sie zu vernuscheln, singt er gegen sie an. Es geht meistens recht laut zu auf diesem Album. Obwohl die Oasis-typischen Breitwandgitarren fehlen. Dafür gibt es viele Streicher, viele Chöre, viele Bläser – und einen „Lyla“-artigen Stampfrhythmus, der fast das ganze Album durchbummst und die Songs einander sehr angleicht. Aber auch kompositorisch wirken die Stücke trotz ihrer langen Entstehungszeit wie aus einem Wurf: keine Balladen, keine Rocker, alles Midtempo-Nummern. Einzig „AKA … What A Life!“ mit seinem von Rhythim Is Rhythim inspirierten House-Piano hebt sich von seinem Umfeld zumindest stilistisch ab. Und erst die Texte: Lehnte Gallagher vor Jahren noch den mittlerweile von Beady Eye aufgenommenen Andy-Bell-Song „Millionaire“ aufgrund dessen platter Zeile „You just need to know yourself“ ab, singt er jetzt Träumerle-Klischees wie „Let me fly you to the moon“, „Keep on chasing down that rainbow“ und empfiehlt wie seit Jahr und Tag: „Gotta be strong, gotta hold on“.
Aber genug der Schelte. Denn natürlich kann der Mann, der einst am Fließband Generationenhymnen schrieb und mit seinen Beiträgen die letzten Oasis-Alben immer noch auf einem überdurchschnittlich hohen Niveau hielt, gar nicht voll danebenhauen: Die Kinks-y Single „The Death Of You And Me“ ist vielleicht sogar noch gelungener als das artverwandte beste Oasis-Stück der Nullerjahre, „The Importance Of Being Idle“. Zum erhebenden „Dream On“ kehrt kurz der Sommer zurück und beim wehmütigen „Everybody’s On The Run“ will man Gallagher trotz schwacher Lyrics tröstend in den Arm nehmen.
Noel Gallagher hat einen Sound gefunden, in dem er alt werden kann, ohne Gefahr zu laufen, berufsjugendlich zu werden. Und so vorhersehbar folgender Satz sein mag, man kommt nicht um ihn herum: Ein Best-of des Beady-Eye-Albums und von diesem hier hätte zusammen eine großartige Oasis-Platte ergeben. Warten wir also den für Sommer 2012 angekündigten Nachfolger ab, eine Experimentalplatte mit Amorphous Androgynous. Deren über zweiundzwanzigminütiger Psychedelic-Remix der letzten Oasis-Single „Falling Down“ ließ schließlich auf Großes und vor allem: auf Vielfältiges, auf Überraschendes hoffen.
Key Tracks: „Everybody’s On The Run“, „The Death Of You And Me“
Interview ME 10/2011
Artverwandtes: Rhythim Is Rhythim Strings Of Life (1987) Richard Ashcroft Alone With Everybody (2000)
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