Mutter :: Trinken Singen Schießen

Die eigene Gesellschaft

Böse Krisenprosa aus dem Steinbruch des Rock. Und ein Witz: Die bis dato beste deutsche Platte 2010 hat noch keinen Vertrieb.

„Mach doch einfach“ ist leicht gesagt. „Mach doch einfach“, singt Max Müller im fünften Stück des neuen Mutter-Albums und gibt zu Protokoll, dass er die Schnauze voll hat von all den selbst ernannten Kreativen und Kunstschaffenden. Statements waren der Band Mutter in deren über 20-jähriger Geschichte nie fremd, es gab Zeiten und Orte, an denen es schick war, den Diskurs mit einem Mutter-Zitat einzuleiten. Müller und Mutter leiten ihr Album TRINKEN SINGEN SCHIESSEN mit einem Text des Alleskünstlers Dieter Roth ein, „Leben heißt das Loch, das mich als Durchfall hat.“ In solchen Sequenzen blitzt kurz der Humor auf, über die Gesamtspieldauer von 59.45 Minuten aber schuftet die Band hörbar im Steinbruch des Rock, sie verleiht ihrer Musik den Charakter eines Kraftaktes, in dem sich der permanent aus dem Ruder laufende Vortrag Müllers gegen das disziplinierte Dröhnen der Gitarren behaupten muss. Aus dieser Gemengelage speist sich die Schönheit der Musik. Sollen die anderen den Gang ins Neubürgerliche diskursiv zukleistern, ihre Elternschaften naturlyrisch untermalen, Müller und Mutter gehen den geraden Weg der Nichtvereinbarkeit. Was aus seinen Texten spricht, ist weder mit linkem Machtanspruch noch mit der Flucht ins Ich vereinbar. Klare Sprache, klare Musik, Schwierigkeiten machen doch nur die anderen, die sich im Labyrinth der Interpretation verlaufen. „Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst/ das Schönste im Leben ist der Verlust/ zu sehen, dass man überlebt/ während alles andere von uns geht“. Das ist böse Krisenprosa. Und ein Fall von Ironie: Dafür, dass die hoch gelobte, heiß geliebte und kommerziell nicht gerade riesige Band Mutter überhaupt noch ein neues Album finanzieren konnte, sind deren Fans verantwortlich. Sie wurden zu Kleinanlegern, erwarben „Mutterschuldverschreibungen“ in Form von Kaltnadelradierungen Max Müllers und ein Plätzchen auf dem Albumcover. Krise macht erfinderisch. Und fassungslos. Dass die beste deutsche Platte 2010 noch keinen Vertrieb hat, ist ein schlechter Witz. Mutter werden ihr Album auf Konzerten und über die Homepage verkaufen.

www.muttermusik.de