Manchester by the Sea :: Regie: Kenneth Lonergan
Ein Film wie eine Ice Bucket Challenge in Slow Motion.
Was macht eigentlich Casey Affleck zu einem guten Schauspieler? Wieso wurde er für „Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford“ für einen Oscar nominiert? Wieso hat gerade er mit „Manchester by the Sea“ bereits so viele Preise gewonnen? Zunächst hat er ja nur diesen unglaublich gleichgültigen Gesichtsausdruck drauf. Diesen, bei dem er nichts Genaues anguckt und man sich trotzdem fragt, was da in der Ferne wohl los ist. Das hat sein Bruder Ben auch schon perfektioniert. Aber damit wird aus ihm noch lange kein herausragender Darsteller. Was ihn wirklich herausstechen lässt, ist die Gefühligkeit, die er noch in seine Gesichtszüge und seine Stimme legen kann. Er muss wahnsinnig wenig machen, um uns eine nuancierte Emotion genau spüren zu lassen.
Klingt total drüber? Der Inhalt von „Manchester by the Sea“ ist auf dem Papier auch ganz schön emo – und funktioniert dennoch am Ende. Da ist dieser unfassbar wortkarge Lee Chandler (Casey Affleck), der zunächst in Boston als Hausmeister arbeitet. Doch als sein Bruder Joe (Kyle Chandler) stirbt, reist er zurück in seine Heimat Manchester. Ein Ort, mit dem er jede Menge schreckliche Erinnerungen verbindet und in dem er nur widerwillig mehr Zeit als notwendig verbringt. Aber jetzt soll er sich rund um die Uhr um Joes 16-jährigen Sohn Patrick (Lucas Hedges) kümmern, der nun mal genau dort wohnt. Ideal ist anders.
„Manchester by the Sea“ scheint also prädestiniert zu sein, um zwei Stunden und 17 Minuten lang zu flennen. Zum Glück ist das Drama aber nicht nur eine Melange aus Trauer und Kitsch. Es will mit seiner eigentlich so simplen Geschichte und dem simpel agierenden Casey Affleck tatsächlich noch etwas anderes erreichen, als uns nur unglücklich im Kinosessel einsacken zu lassen. Es möchte vor allem klarmachen, dass es trotzdem weitergeht – egal, was auch passiert. Das ist jetzt nicht sonderlich toll, aber irgendwie auch nicht so schlimm, wie es sich erst anhört. Lucas Hedges als pubertierender Sohn mit zwei Freundinnen liefert uns dafür stets den Beweis.
Unser guter Freund Rückblende
Ganz behäbig wird nach und nach aus dem früheren Leben von Lee Chandler berichtet. Von den Momenten, in denen er wirklich noch richtig die Mundwinkel nach oben zum Lächeln ziehen konnte. Von der chaotisch schönen Zeit mit seiner Ex-Frau (Michelle Williams) und ihren gemeinsamen Kindern. Wie immer geht das Prinzip Rückblende auf: es wirkt rührselig und sorgt für den Kloß im Hals. Aber hauptsächlich verdeutlicht es den Kern des Films: hier geht es um Traumabewältigung. Um die Starre nach dem Horror. Die Unmöglichkeit eines Normalzustands, der dennoch immer wieder versucht wird zu erlangen.
Regisseur und Autor Kenneth Lonergan („Margaret“) hat gut daran getan, Casey Affleck in seiner trüben Szenerie ins Zentrum zu setzen. Er fügt der Beiläufigkeit des Alltags in der Kleinstadt die passende Körperhaltung hinzu. Hochgezogene Schultern, lascher Gang, dazu noch eine anstrengende Nuschelstimme. Und trotz der bewegten Vergangenheit seiner Figur schafft es Affleck ihn immer noch mächtig sympathisch aussehen zu lassen. Und dadurch schwappt „Manchester by the Sea“ nie zu sehr ins Melodramatische oder ins Effekterhaschende über, sondern bleibt in sich ruhend – und gerade dadurch wiederum für den Zuschauer so verstörend.
Mehr News und Stories