Magazine – Vier Re-Releases

Ende 1976 war Howard Devoto ein Mann mit Aussichten: hatte als Buzzcocks-Sängerden Punk in Manchester etabliert und galt als eine der interessantesten Stimmen der neuen Welle. Sein Ausstieg im Februar 1977 schien ein punktypischer Akt der Selbstvernichtung: „Wir haben gesagt, waszu sagen war“, meinteer zum Erscheinen der „Spiral Scratch“-EP, der ersten „Indie“-Platte der Punk-Generation. Sowieso sei ihm Punk zu negativ, außerdem wolle er die Schule zu Ende machen. Ein Bluff: Im April lernte erden schottischen Gitarristen John McGeoch kennen und stellte eine Band zusammen-ohne Proben, nur nach Sympathie. Besser als mit Barry Adamson (bg), Dave Formula(keyb) und Martin Jackson (dr) hätte er’s nicht treffen können. Die erste Single „Shot By Both Sides“ war eine „Leihgabe“ seiner alten Band („Lipstick“ hieß es dort); die Magazine-Version war lockerer, aber noch drängender und rasender. Fürs Debütalbum gab Devoto seinen Musikern Bowies low und IggyPopsTHE idiotzu hören, ließ ihnen vollkommen freien Laufund sang dazu mit ultraarroganter, verletzterStimme merkwürdige Beobachtungen, meilenweit entfernt nicht nur von der aktuellen Szene, sondern von der Welt-Produzent John Leckiefing die Fetzen ein und schliff sie zum dritten Eckstein des Post-Punk (nach Ultravox! und Wire). Als real life 6 im Juni 1978 erschien, waren die Kritiker außer sich: die einen (die Devoto vorab zum „Mann des Jahres“ ernannt hatten) vor Verzückung, die anderen (die Sham-69-Fraktion) vor Empörung, weil da offenbarjemand versuchte, den Progressive Rock per Adaption wesentlicher New-Wave-Elemente wieder diskutabel zu machen. Während jedermann davon schwärmte (oder davor warnte), was nach der Implosion der Sex Pistols alles möglich sei. fingen Magazine einfach mal an. War Punk die totale Gegenwart gewesen, so klangen sie wie die Zukunft: entfesselt, grenzenlos, rätselhaft, elektrisierend: streckenweise tobte die Band wie genialische Berserker, wechselte die Metren, tauchte in merkwürdige Harmoniefolgen und warfmit den alten auch die neuen Gewissheiten über den Haufen. Man höre nur die (ehemals) zweite Seite des Albums: Das entspannt-atmosphärische „Motorcade“ steigert sich überfast sechs Minuten zum psychedelischen Muskelrock-Orkan (und zurück), zur Bühne für McGeoch, den viele für den größten Gitarristen aller Zeiten hielten. „The GreatBeautician In The Sky“ beginnt als sarkastisch ätzender, euphori sch-besoffener Walzer und endet als trockene 4/4-Hymne. „The Light PoursOutOfMe“ lebt von Barry Adamsons grandiosem Bass. der Soul und Funk der 60er ins Übermorgen transponiert. Das zweite Album secondhand daylicht 5 warvon komplett anderer Natur: kein schillerndes, bunt glühendes Monster, sondern ein eisiger Monolith. Die zwei besten Songs der Platte spannen den Horizont und sind in ihrer Widersprüchlichkeit beispielhaft für alles, was Devoto je geschrieben, gesungen, gesagt hat: „Back To Nature“. ein romantisches, vermeintlich eiferloses Gemälde von Ursprünglichkeit,das in Wut, Zorn, Hilflosigkeit eskaliert „I ajas here. you were there, nothing wasbetuieen us.“ Zweitens:das Finale „Permafrost“ mit dem tausendfach (zuerst von Radiozensoren) zitierten Chorus: „As the day stops dead/ At the place ujhere we’re lost/I will drug you and fuck you /On the permafrost“ — die vielleicht kältesten, brutalsten vier Zeilen der Popgeschichte, gesungen von einer scheinbar unbeteiligten, untergründig vor Sehnsucht nach Nähe, Wärme. Mit-Leid bebenden Stimme, gekrönt von einem derart zerrissenen, verzweifelt sich versteigenden Gitarrensolo, dass im ZeitaltervorMTVein zufälliger Teenager sich die Band nicht anders vorstellen konnte als einsam auf einem Fantasie-Himalayagipfel im Schneesturm bei minus 70 Grad. Es ist mehr drauf auf der Platte, wofür hier kein Platz ist; erwähnt sei „Cut-Out Shapes“, Summe/Formatvorlage von/für allem/s, was Postpunk war/ würde.

Mit THE CORRECT USE OF SOAP 4 war die Band 1980 wieder „drunten“ (aufdem Boden) und „drin“ (in der Szene): Die SF-Funk-Experimente bildeten so etwas wie das lyrische, eher privatistisch als politisch radikale Gegenstück zu Gang OfFour, aber der höchst eigensinnige Produzent Martin Hannett (der zur Zeit der Album-Arbeit im Sommer 1979 mit Joy Divisions unknown pleasures seinen größten Erfolg feierte) warvielleicht etwas überfordert mit der kongenialen Umsetzung: Vieles klingt unfertig, unverstanden, das Sly-Stone-Cover“ThankYou (Falettinme Be Mice Elf Agin)“ etwa ist in der John-Peel-Session-Version wesentlich runder. Nur die Single „A Song From UnderThe Floorboards“ (unlängst von Morrisseygecovert) trifft in jeder Hinsicht den Punkt. Vielleicht sah das Cover zu sehr nach Kernseife aus. um das in Verkaufszahlen zu transponieren-den Massenmarkt bedienten drei Fünftel Magazine derweil als Visage mit „Fade ToGrey“, und da John McGeoch nebenbei bei Siouxsie S.The Banshees(und später bei The Cure) tätig war. verabschiedete er sich. Ex-Ultravox!-Ersatzmann Robin Simon ersetzte ihn kurz, Ben Mandelson schaffte das auf MAGIC, MURDER AND THE WEATHER 3 auch nicht wirklich, und so sagte 1981 Howard Devoto Adieu. Bedauern konnte das nur, wem die ersten beiden Alben nicht für ein Leben reichten-von einer Rockband mehr zu erwarten als real life und secondhand daylicht, ist ziemlich vermessen. >» www.shotbybothsides.com