Lux :: Warp/Rough Trade
Schöne Welten, und die Stille, von der du schon immer geträumt hast: Der Ambient-Miterfinder und -Namensgeber knüpft an seine großartigen Arbeiten in den 70er-Jahren an.
Im Falle des neuen Albums von Brian Eno hat sich die an sich schmucklose Darreichungsform der Vorabmusik einmal als Glücksfall erwiesen, als eine unfreiwillige Anleitung zum Richtighören. Lux wurde als handliches MP3 verschickt: ein einziger Track, eine Stunde, 15 Minuten und 21 Sekunden lang. Ein langes Stück Ton ohne Träger, das die Sequenzierung, die der Ambient-Miterfinder für die physischen Formate seines neuen Albums vorgesehen hatte – vier Tracks, unterteilt in zwölf Abschnitte – einfach ignorierte und damit allerdings den Rezipienten mit sanftem Druck zum Am-Stück-Anhören genötigt hat. Wie sangen MGMT im Jahr 2010 in ihrer Hommage „Brian Eno“ so schön? „He promised pretty worlds and all the silence I could dream of“. Die schönen Welten, die der 64-Jährige auf Lux nicht nur verspricht, sondern auch errichtet, sie bestehen aus kargen aber klaren herbst-winterlichen Klanglandschaften, die an einem Stück und ohne Rast durchwandert werden wollen.
Die Rückkehr der Stille, der Langsamkeit – für manche freilich auch Langeweile – in die Musik quer durch alle Genres, wurde Anfang des Jahres in diesem Heft eingehend phänomenologisch abgehandelt. Es mag deshalb kein Zufall sein, dass Brian Eno auf seinem dritten Album für das Warp-Label deutlicher als in den vergangenen zwei Jahrzehnten an seine klassischen Arbeiten aus den 1970er-Jahren anknüpft. Damals führte Eno mit Alben wie Ambient 1: Music For Airports (1978) die scheinbare Ereignislosigkeit in die Popmusik ein. Dass diese Musik am Rande des Nichts nicht überall auf Gegenliebe stößt, ist klar. Der Grat ist schmal, der sie von New-Age-Eso-Quatsch trennt.
Zwar hatte Brian Eno in den Siebzigern aus der Zusammenarbeit mit den avantgardistischen Freigeistern Dieter Moebius und Hans-Joachim Roedelius von Cluster seine Lektion gelernt – zum Beispiel über musikalische Freiheit. Aber Eno agierte im Umgang mit der Stille weitaus radikaler und arbeitete frei nach Erik Satie an einer Musik, die sich wie ein Möbelstück in das Ambiente des Raums einfügt. Das darf man auch gerne als Gegenentwurf sehen für den klassischen Song, der nach dem Schema Strophe-Refrain-Strophe funktioniert. Ein Format, in dem zwangsläufig immer etwas passieren muss.
Lux verlangt dem Hörer viel ab. Es hinterlässt ihn hilflos ohne die bequeme zeitliche Orientierungshilfe, die ein straighter Beat liefert, ohne musikalische Wohlfühlphrasen, die die Erinnerung anregen, ohne „Hookline“ und ohne Gesang, der erklären würde, was die Musik vielleicht nicht imstande wäre zu erzählen. Dass das Abstraktionslevel von Ambient der Imaginationskraft des Hörers mehr in die Hände spielt als ein Gitarrensolo, mag ich jetzt nicht wieder betonen müssen. Keine Eno-Platte ohne Konzept. Lux basiert auf einem Kunstwerk, das zurzeit im Palast von Venaria in Turin ausgestellt ist. In der 75-minütigen Komposition verschmelzen zarte und spärlichst gesetzte Pianotupfer (ist das vielleicht Harold Budd?) im Hallraum mit dem minimalistischen elektronischen Backing. Genauso, wie im Idealfall der Hörer mit dieser Musik verschmilzt, bis er sie nicht mehr wahrnimmt.
Brian Eno war nur die ersten beiden – viele sagen: die besten – Alben lang Mitglied bei den Glamrockern Roxy Music. Nach seinem Ausstieg und einer kurzen Orientierungsphase mit den Alben Here Come The Warm Jets, Taking Tiger Mountain (By Strategy) (beide 1974) und Another Green World (1975), auf denen er eine Art elektronischen Glam-Pop spielte, tauchte er 1975 mit dem Album Discreet Music in die Ambient-Welt ein. Dass er später als nicht immer geschmackssicherer Produzent Dritter (U2, Coldplay) aufgetreten ist, hat an der sanften Radikalität seiner Solowerke nichts geändert. Eno veröffentlicht seit fast 40 Jahren Musik, die nach einer Albumreihe von ihm benannt wird. Dass er aber gerade jetzt mit Lux in den Fokus rückt, liegt auch daran, dass die Aufmerksamkeit ein kostbares Gut geworden ist. Die anderen im „Business“ haben sich schon längst in den Weihnachtsurlaub verabschiedet, die Konkurrenz auf dem Feld der Aufmerksamkeitsökonomie hat Platz gemacht für Brian Eno.
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