Kino

Was der Himmel erlaubt

The Impossible

Von Juan Antonio Bayona, Spanien 2012

mit Ewan McGregor, Naomi Watts, Tom Holland

Urmächte der Natur: Juan Antonio Bayona macht die große Welle.

Einer Naturgewalt in einem Film gerecht werden, indem man eine ganz eigene Naturgewalt entwickelt, das ist der Ansatz, den der Spanier Juan Antonio Bayona mit seiner ersten Arbeit seit seinem Debüt „Das Waisenhaus“ vor fünf Jahren verfolgt. Um den Tsunami am zweiten Weihnachtsfeiertag 2004 geht es. Um die wahre Geschichte einer fünfköpfigen Familie, die im Winterurlaub in Thailand im Swimming Pool ihres Hotels von der todbringenden Welle getrennt wird und mehrere Tage ums Überleben kämpft, um Wiedervereinigung und um all die menschlichen Tugenden, nach denen das humanistische Überwältigungskino verlangt, um sein Publikum überrollen zu können: Liebe, Ausdauer, Glauben, Hoffnung – Triumph des Überlebenswillens. Indem Bayona sich freimütig aus dem Regelwerk des Kinos von Steven Spielberg bedient und die Emotion eines „E.T.“ mit dem kontrollierten Spektakel von „Jurassic Park“ verschmilzt, wird er dieser eigentlich unmöglich zu erzählenden Geschichte um die Familie gerecht, die ihre kleinen und großen Siege gegen alle erdenklichen Widerstände feiert, während um die fünf unfreiwilligen Helden die Welt regelrecht versinkt. Eng geht er an seine Figuren ran, ist bei ihren intimsten Momenten dabei, nur um dann regelmäßig die Kamera mit dem Kran nach oben zu ziehen und den Blick auf das größere Bild der Verwüstung freizugeben. Allein die erste halbe Stunde ist die Perfektion des filmischen Terrors: Unmittelbar erlebt man als Zuschauer mit, wie die von Naomi Watts gespielte Mutter und ihr ältester Sohn weggespült werden und gemeinsam darum kämpfen, die Köpfe über dem Wasser zu halten. Man hält den Atem an. Weil man weiß, dass ihre Rettung aus den Fluten vom Zufall abhängt. Und dass die eigentliche Odyssee erst beginnt, nachdem die beiden wieder festen Boden unter den Füßen haben. Mit den Mitteln des Flüchtlings- oder Bürgerkriegsfilms lässt Bayona Watts auf der einen, Ewan McGregor als Vater mit den beiden jüngeren Söhnen auf der anderen Seite nach Erlösung streben. Und auch wenn der Rest des Films nicht im Entferntesten mit dem apokalyptischen Anfang mithalten kann, ist man doch gebannt, weil man sich selbst sieht in diesen kraftvollen Bildern. Man könnte von einem Meisterwerk sprechen, würde der Regisseur seinen Film nicht selbst torpedieren: Jeder noch so intime Moment wird von den Geigen von Komponist Fernando Velázquez in Grund und Boden geschwurbelt. Körperverletzung. Und Punktabzug in einem sonst fast perfekten Film.

***** Start: 31. Januar

Lincoln

von Steven Spielberg, USA 2012

mit Daniel Day-Lewis, Sally Field, Tommy Lee Jones

Es ist ein schmutziger Job, aber selbst Abraham Lincoln muss ihn machen.

Wie ein Damoklesschwert baumelt die Angst vor einer muffigen, staubtrockenen Geschichtsstunde über Steven Spielbergs langjährigem Traumprojekt. Sie ist nachvollziehbar, aber unbegründet: Spielbergs Film über die letzten zwei Monate im Leben des 16. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika ist so aufregend, wie es ein Film über Ideen und das schmutzige Geschäft der Politik nur sein kann. Es gibt so gut wie keine Nachstellungen berühmter Schlachten und Reden, dafür aber das Porträt eines Idealisten, der Realpolitiker genug ist, um zu wissen, dass es gewiefter Winkelzüge bedarf, um die Abschaffung der Sklaverei eine Tatsache werden zu lassen. Tatsächlich ist hohe Konzentration gefordert, aber Daniel Day-Lewis als Lincoln und Tony Kushners Drehbuch sind Offenbarung genug, die Wachheit des Verstandes zu rechtfertigen.

***** Start: 24. Januar

Searching for Sugar Man

von Malik Bendjelloul, Schweden / Großbritannien 2012

All die kalten Fakten über einen vergessenen Helden.

Es gibt die Vergessenen, aber nachträglich Entdeckten und Gewürdigten der Pomusik – Syd Barrett, Nick Drake, Lee Hazlewood. Und es gibt die wirklich Vergessenen und im Orkus der Zeit Verschwundenen – Jim Sullivan, Silver Apples. Und eben Sixto Rodriguez. Ein Folksänger aus Detroit, der in den Siebzigern zwei Alben mit Songs über die Gebeutelten und vom Leben Ausgespuckten veröffentlicht hatte, vor zehn Jahren kurz für Aufsehen sorgte, als David Holmes seinen „Sugar Man“ auf eine Compilation mixte, und gemeinhin als tot, beerdigt und vergessen galt. Bis sich zwei Fans in Südafrika die Frage stellten: Was ist eigentlich aus Rodriguez geworden? Ihre Suche steht im Mittelpunkt der sensationellen Doku, die ebenso viel über den Musiker und seine Zeit erzählt wie über die beiden Suchenden und ihre Heimat.

***** Start: 27. Dezember

Flight

von Robert Zemeckis, USA 2012

mit Denzel Washington, John Goodman, Don Cheadle

Denzel Washington als Retter, der gerettet werden muss.

Zwölf Jahre hatte sich Robert Zemeckis in dem Irrglauben verrannt, fotorealistische Motion-Capture-Zeichentrickfilme seien die Zukunft des Kinos. Man hätte ihm gleich nach „Der Polarexpress“ sagen können, dass das Quatsch ist. Aber wie das so ist bei Genies, die sich in Schnapsideen verrennen, musste sich Zemeckis noch mit „Beowulf“ und „Eine Weihnachtsgeschichte“ um seine Reputation filmen, um sich nun mit einem Paukenschlag endlich in der Welt des Realfilms zurückzumelden: Der Flugzeugabsturz zu Beginn des Films über einen Piloten, der seine Passagiere mit einem gewagten Manöver rettet, ist sensationell gemacht. Der Rest dann nur bedingt. Der von Denzel Washington mit gewohnter Souveränität gespielte Held erweist sich als problembeladener Alkoholiker, der Film als Chronik eines Absturzes ganz anderer Art und Gott als möglicher Retter des Retters.

***1/2 Start: 17. Januar

No

Von Pablo Larraín

Chile / Frankreich 2012

mit Gael García Bernal

Wie die Werbung den Diktator Pinochet in die Knie zwang.

Das Fernsehformat (1:33 zu 1), das Pablo Larraín für „No“ gewählt hat, ist ungewohnt, aber doch zwingend: Immerhin geht es dem Chilenen – Sohn zweier Politiker – um eine Werbekampagne, die 1988 von den Gegnern des Diktators Pinochet angestrengt wurde, um in einer Volksabstimmung darüber zu entscheiden, ob sich bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen ein Gegenkandidat aufstellen lassen darf. Gael García Bernal spielt einen an der Politik desinteressierten Werbefachmann, der sich der Kampagne – „NO!“ – annimmt und damit ungeahnt die Weichen stellt für Chiles Weg aus der Diktatur. Larraín erzählt diese geschichtsträchtige Episode unaufgeregt, wie nebenher. Aber gerade daraus schöpft der Film seine beachtliche Wucht. Politik ist eben nicht nur ein Instrument der Politisierten.

****1/2 Start: 31. Januar