Kendrick Lamar
To Pimp A Butterfly
Interscope/Universal 20.03.2015
Erst D’Angelo, dann das: Kendrick Lamars „highly anticipated“ Album ist ein Manifest schwarzer Meta-Musik.
Was soll man in 3000 Zeichen über ein Album schreiben, das selbst in Jahrzehnten noch Stoff für Bücher bergen wird, weil es selbst wie eines gelesen werden muss? Über ein Album, das Funk-Monster der Siebziger mit Space-Jazz-Nerds von heute zusammenbringt und in jedem Winkel seiner tiefschwarzen DNA Anspielungen und Antworten auf die Musik bereithält, die so etwas überhaupt erst möglich gemacht hat?
Vielleicht sollte man kapitulieren. Vor Lamar selbst, weil er auf Nicht-Beats wie „For Free? (Interlude)“ spielend tänzelt, ohne auszurutschen und die Courage hat, „i“, den Hit des Albums, in einer bastardisierten Fake-Live-Version absaufen zu lassen. Aber auch vor der Musik, die Funk, (Neo-)Soul und Jazz auswendig kennt, im Falle von „How Much Cost A Dollar“ sogar Radioheads „Pyramid Song“ zitiert und schweigt, wenn ihr Dompteur etwas zu sagen hat. Im Zentrum des Albums steht nämlich ein Gedicht, das Lamar in aller Stille vor fast jedem Song rezitiert: Über den Kampf mit sich selbst, dem Alkohol, dem Teufel und den Depressionen findet er den Sinn seines Daseins daheim in Compton.
Es ist einer von vielen roten Fäden, die sich auf ihrem Weg durchs Album immer wieder verknoten. Ein weiterer ist der klassische West-Coast-HipHop, der mitsamt seinen Protagonisten die komplexen, abstrakteren Strukturen aufbricht: In „Wesley’s Theory“ ruft Dr. Dre an und gibt Karriere-Tipps. Die Bassline von „King Kunta“ klingt, als stamme sie von THE CHRONIC. Snoop Dogg bläst seine Rauchschwaden durchs bekiffte „Institutionalized“. „You Ain’t Gonna Lie (Momma Said)“ holt die Vocal-Effekte von „California Love“ aus dem Requisitenschrank. Und, ja, in „Mortal Man“ führt Kendrick Lamar tatsächlich ein Gespräch mit Tupac, das mit der Pointe des Albums schließt: Die Raupe Kendrick wuchs in einem Kokon namens Compton zum Schmetterling heran und sieht es nun als seine Pflicht an, den Rest seiner Leute zu befreien, ihnen Flügel zu verleihen. Das Sprachrohr einer Generation hat seine Bestimmung gefunden und ist nun bereit, gehört zu werden.
HipHop kann so vieles sein und ist oft so wenig. Mit Kendrick Lamar haben wir einen Rapper, dessen Vision von HipHop nicht nur in allen Belangen überdurchschnittlich ambitioniert ist, sondern in ihrer Umsetzung Grenzen sprengt, auf die die Konkurrenz noch gar nicht gestoßen ist. Grenzen zwischen 70s-Funk, Dudeljazz, Gangsta-Rap und Spoken Word, aber auch Grenzen zwischen Generationen und den Kämpfen, die sie fochten. Zwischen dem Sklaven Kunta Kinte, der im 18. Jahrhundert in Virginia lebte, nach einem Fluchtversuch einen Fuß abgehackt bekam und heute von Lamar zum König gekrönt wird, und seinen Nachkommen, die sich in einem Post-Ferguson-Amerika neuen alten Problemen, aber auch einem gestärkten schwarzen Selbstbewusstsein und -verständnis gegenüber sehen. Zwischen den Träumen, Wünschen und Prophezeiungen eines Tupac Shakur anno ’94 und der Lebensphilosophie seines legitimen Nachfolgers zwei Jahrzehnte später.