Kanye West & Ty Dolla $ign
VULTURES 1
YZY (10. 2.)
Skandalrap, der sich nicht isoliert von den widerlichen Ausfällen seines Schöpfers betrachten lässt.
Seit seinem letzten regulär veröffentlichten Album DONDA im August 2021 hat Kanye West sich in einem „White Lives Matter“-Shirt präsentiert, verlautbaren lassen, von einer „jüdischen Untergrund-Medien-Mafia“ verfolgt zu werden und den Holocaust geleugnet. Selbst für den provokationswütigen Skandalfanatiker stellen diese Äußerungen einen neuen traurigen Tiefpunkt dar, der weder durch sein vermeintliches Genie noch durch den Verweis auf seine Psyche zu relativieren, zu verharmlosen oder gar zu entschuldigen ist.
So wenig die Trennung von Künstler und Werk absolut sein kann, ist sie von Vornherein als billige Apologetik zu verwerfen. Im Falle von Kanye West führt sie aber nicht weit, ist die Fusion von Werk und Künstler hier doch inzwischen so weit fortgeschritten, dass eine Trennung nicht mehr möglich ist. Sein künstlerisches Schaffen steht im direkten Bezug zu seinen Verschwörungstheorien, Hasstriaden und Provokationen, die ihn erst zu der Kunstfigur machen, die er heute verkörpert. Die Musik ist dabei höchstens noch nebensächlich.
Rudert West nun also doch zurück?
Viel wichtiger sind die kalkulierten Skandale. Und Wests Popstar-Gebaren, das zwar nicht sehr innovativ, aber effektiv ist. Auch bei seinem nun veröffentlichen neuen Kollabo-Album mit dem kalifornischen Rapper Ty Dolla $ign VULTURES 1 diskutierten Medien und Fans wochenlang eifrig über das Albumcover, die Tracklist und das Release-Datum und haschten dabei nach jedem Häppchen, das West dem tobenden Mob zuwarf. Apropos Albumcover: Das zeigt nicht, wie zunächst von West angedeutet, ein in die Cover-Ästhetik einer norwegischen Neonazi-Band gezwängtes Caspar-David-Friedrich-Gemälde, sondern den schwarz verhüllten Rapper mit seiner nahezu nackten Ehefrau. Rudert West nun also doch zurück? Meinte er es etwa tatsächlich ernst, als er sich um Weihnachten herum auf Hebräisch bei der jüdischen Community entschuldigte? Ist er geläutert?
Keineswegs. Die schon im Vorhinein veröffentlichte Textteile „How I’m anti-semitic/ I just fucked a jewish bitch“ ist auch auf dem Album zu hören. Und auf dem letzten Song „King“ prahlt West geradezu: „Crazy, bipolar, antisemite / And I’m still the king“. Aber natürlich wird auf dieser Platte nicht nur über Jüdinnen und Juden gespottet. Auf „Carnival“ verhöhnt West zum Beispiel die Opfer von sexualisierter Gewalt, in dem er sich mit den Tätern gleichsetzt: „Anybody pissed off / gotta make ‚em drink the urine / Now I’m Ye-Kelly, bitch / now, I’m Bill Cosby, bitch / Now, I’m Puff Daddy rich / that’s #MeToo me rich“.
VULTURES 1 wird nicht in seinen Einzelmomenten, sondern als Ganzes gehört und verstanden
Gut, dass Künstler wie Ozzy Osbourne und Nicki Minaj mit dieser Farce nichts zu tun haben wollten, nicht so gut, dass zahlreiche andere Künstler, wie Travis Scott oder auch Playboi Carti wohl keine moralischen Bedenken hatten und Feature-Parts beisteuerten. Was Ty Dolla $ign geritten hat, hier mitzumachen bleibt ebenfalls Spekulation, über eine Nebenrolle kommt er aber auf dem Album sowieso nicht heraus. Dass auf dem Cover statt ihm die Ehefrau von West zu sehen ist, ist dafür sinnbildlich.
Weil in der Musik von Kanye West der Skandal und der Hass so elementar verankert sind – ist es sinnlos, einzelne Momente von VULTURES 1, wie die erneut gelungene Sample-Auswahl oder auch die dichte Atmosphäre hervorzuheben und losgelöst von ihrem Kontext loben zu wollen. Sie lassen sich nicht isolieren und als Einzelnes betrachten, sondern existieren nur als Teil eines Größeren. VULTURES 1 wird nicht in seinen Einzelmomenten, sondern als Ganzes gehört und verstanden – und muss daher auch ein solches kritisiert werden.
Und diese Kritik fällt leicht. In Zeiten, in denen Antisemitismus wieder so en vogue ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr, bedarf es Kunst, die sich diesem widerlichen Missstands annimmt. Wäre Kanye West noch vorrangig Künstler, er würde es wissen. Aber als ewiger Provokateur lebt es sich eben nicht nur besser, sondern vor allem einfacher.