K.I.Z.
Hurra die Welt geht unter
Universal
Männliches Elend, Ballerorgien und Deppendisko mit Manny Marc: Der Provo-HipHop von K.I.Z. findet ein paar neue Perspektiven.
Die K.I.Z.-Kampagne begann Ende April mit dem Clip zum „Kannibalenlied“, einem Stück Propaganda im weiten Feld zwischen Riefenstahl, Laibach und Jürgen von der Lippe: „Kannibalen in Zivil, aufrecht, weise, stabil. Klosterschüler im Zölibat – Hater, da habt ihr den Salat.“ In den ersten Schreiben zum Album koppelte das Managementteam den Begriff Kapitalismuskritik mit The KLF, Bill Drummonds radikalem Anti-Pop-Projekt. Das machte Hoffnung: Könnte HURRA DIE WELT GEHT UNTER etwas wahnsinnig Großartiges geworden sein? Der erste Durchlauf zeigt: Es ist dann doch nur eine deutsche HipHop-Platte.
Hören durfte man sie vorab ausschließlich im Büro der betreuenden Agentur, wo man die 13 Songs ein paar Tage rauf und runter spielte. Beim Betreten des Raums lief gerade das Titelstück. Den Refrain singt Henning May von der Kölner Band AnnenMayKantereit, und weil dieser klingt wie ein Morphing aus Clueso und Casper, darf man davon ausgehen, dass das da draußen geliebt wird. Die vier Berliner rappen dann nach dem großen Knall noch über ein paar Utopien: bessere Tomaten, legales Weed, das Ende des realen Monopoly in der Finanzwelt. „Das ist mir jetzt irgendwie ein bisschen zu wenig“, sagte daraufhin einer der Mithörer, der die Platte schon ganz gehört hatte. „Das ist ja beinahe niedlich.“ K.I.Z. und niedlich? Moment, jetzt also noch mal von vorn.
Das Album beginnt mit „Wir“, ein Wink in Richtung Freddy Quinn, der 1966 ein Stück dieses Namens in Richtung der zerzottelten linken Studi-Bewegung zeterte. Nun halten sich Tarek, Maxim und Nico natürlich nicht für die Anständigen, sondern für „von der Sterblichkeit angeekelte“ Götter. Schöne Startperspektive, von dort aus kann es nur noch runter gehen. Und tatsächlich: „Geld“ ist Kritik am konsumgeilen Bodensatz der Republik, Deichkind formulieren das – sorry, ist aber als Kompliment gemeint – sozialdemokratischer, dafür sind bei K.I.Z. natürlich die Bilder krasser und die Beats mehr oldschool, was generell super ist, denn diese fluffigen, im Raum schwebenden digitalen Wolken-Beats hat man jetzt auch mal häufig genug gehört. Bei „Glücklich und satt“ singt dann ein Chor „Wir bringen den Hass“, was uns zurück zur Frage bringt: Wann steigt sie denn nun, die versprochene apokalyptisch-antikapitalistische Party?
Also los: „Boom Boom Boom“, ein Schuss weniger als die Vengaboys, aber die gleiche Refrainmelodie. K.I.Z. bringen Party-Patrioten und Promis von der hinteren Bank um die Ecke, ein vertonter Egoshooter mit Eurodance-Samples. Jetzt sind K.I.Z. textlich auf Zack: „Freier Fall“ ist „Sie ist weg“ mit Abtreibung statt Regenrauschen – die Frau besitzt ihren Stolz noch, der Typ nicht, eine Haltung, die K.I.Z.-Texten gut tut. „Käfigbett“ ist die Abrechnung eines Kleinkinds an die Eltern, „Verrückt nach dir“ Neo-R’n’B aus total kaputter Männerperspektive. K.I.Z. haben den Spaß am Sexismus verloren, es bleibt reines Elend. Und noch die Frage: „Was würde Manny Marc tun?“ In den Strophen Szenen von Kindesmissbrauch und sexueller Gewalt, sonntags läuft so was im „Tatort“. Im Refrain dann aber nicht Günther Jauch, sondern Manny Marc: „Hummel, hummel, bumms bumms, Disco, Disco, Null Problemo“. Das Party-Orakel ist selbst dabei. Bitte, bitte, lieber Manny Marc, nimm das Stück mit nach Mallorca. Die Augen derer, die das grölen, die möchten wir sehen.