Album der Woche

Jorja Smith

FALLING OR FLYING

Sony Music (VÖ: 29.9.)

Auf ihrem zweiten Album verdichtet die Britin ihre Einflüsse zu einem so tanzbaren wie innovativen Mix, der Brit-Soul weiterdenkt.

Jorja Smith hat sich Zeit gelassen, über fünf Jahreliegen zwischen ihrem Debüt LOST & FOUND und vorliegendem zweiten Album. Eine Handvoll Singles und EPs, Features sowie eine BBC-Radioshow, in der sie sich mit Musik als Heilkraft beschäftigte, dienten in der Zwischenzeit als gelegentliche Lebenszeichen. Eines zeigte die Britin dabei: Sie hat viele Interessen, viele Gesichter, arbeitet mal nah am Dancefloor, mal näher am Jazz, sphärischer, reduzierter.

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So richtig festnageln lässt sie sich auch auf FALLING OR FLYING nicht, dennoch ist eine Verdichtung der Klangsprache festzustellen, dazu später mehr. Smith scheint zunächst zwei gegensätzliche Ansätze zu verfolgen. Der von manchen vermutete Move hin zu einem amerikanischeren, zu einem näher am Charts-R’n’B gebauten Gesamtklang bleibt aus, Ausnahme ist das an Drakes „Take Care“ erinnernde „Broken Is The Man“. Dennoch sucht sie nach dem Hit und findet diesen auch, etwa in der Form von der einprägsamen Vorabsingle: In der angestressten Klageschrift „GO GO GO“ fndet man plötzlich recht markante Indie-Gitarren und (beinahe) ein Rock-Schlagzeug.

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Oder „Greatest Gift“: eine ebenso rhythmisierte wie sentimentale Liebesballade mit einem Feature der jamaikanischen Reggae-Sängerin Lila Iké. Auch das zweite Feature besitzt alle Qualitäten: „Feelings“ mit dem Rapper J Hus ist ein gedankenschwerer, zwischen britischem Garage der Frühnuller und kontemporären Reggaeton-Stimmungen angesiedelter Slow Jam.

Viel Raum für Imagination

Auf der anderen Seite positioniert sie sich als Grenzgängerin, der die Limitationen des Streaming-Pop-Zeitalters egal zu sein scheinen, die im Zweifel eher auf musikalische Stimmungen als den rechtzeitig aufpoppenden Refrain setzt und Gefälligkeit mit musikalischen Umleitungen pariert. Für jeden Gospelchor gibt es ein Störgeräusch, für jede „Waterfalls“-Gedächtnisgitarre einen Beat, der nicht rund läuft, oft klingen die Songs eigenartig nocturn; so, als wären sowohl Interpretin als auch Hörer:innen gerade erst aufgewacht.

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Gegensätze? Nur scheinbar, denn wie gesagt: Eine klangliche Verdichtung ist festzustellen. Mittel ist dafür einmal Jorja Smiths Stimme, die mal angedrufft-lasziv aus der Dunkelheit berichtet, mal wuchtbrummig die Instrumentierung zur Seite räumt, mal Wanderungen in Höhenlagen unternimmt, aber immer irre präsent ist. Das zweite Bindeglied: Bei allen stilistischen Spreizungen prägt eine fast durchgängige Rhythmisierung die Songs, schiebt sie in einem angenehmen Flow mal Richtung Garage-Beats, mal vorsichtig Richtung Karibik, lässt sie mal mit Dubstep flirten, mal mit Jazz und mal mit dem, was vor auch schon wieder 30 Jahren in Bristol passierte.

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Wie geschickt dabei analoge, beinahe altmodische Strukturen mit einem kontemporären Post-R’n’B-Verständnis verschmelzen, zeigt vor allem „Falling Or Flying“. Der Titelsong des Albums täuscht schimmernden Soul und reduzierten Funk an, eine Gitarre schickt ein paar Licks in den Hallraum, irgendwann leuchten die Synthies. Gleichzeitig wirkt der Track so, als fände er hinter einer Milchglasscheibe statt, wobei das Distanzschafen ohnehin ein beliebter Move Smiths ist. Am Ende von „Makes Sense“ schließt sich eine Tür; und „Little Things“ klingt ab Minute drei so, als wäre es im Club aufgenommen – aber nicht auf der Tanzfläche, sondern zehn, 20 Meter daneben, wo es Richtung Garderobe, Ausgang, Rest der Nacht geht. Viel Raum für Imagination. Und genau dafür ist Popmusik doch da.

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