In Prison – Afroamerican Prison Music from Blues to Hip Hop

Der Knast als Schule einer Nation? Jonathan Fischers Compilation macht deutlich, wie stark die Erfahrung mit der Strafjustiz ins Bewusstsein der Afroamerikaner eingedrungen ist, und stellt in ihrer Geballtheit unangenehme Fragen, Ein Gemälde auf dem Booklet-Cover: Tupac kniet, die Hände in der Geste des Empfangens geöffnet, ein goldener Heiligenschein um den Kopf. Aus einer Wolke reicht ihm die göttliche Hand ein überdimensionales Mikrofon. Es ist ein pfingstlicher Missionsauftrag, der Welt vom Zellenleben zu berichten, einem Leben, dessen Alltag aus Zurücksetzung, Drogen, Vergewaltigungen und dem Kampf um das nackte Leben besteht. Der Blueser Fred Mc Dowell resigniert über monotonen Slide-Lines: „I’m In Jail Again“. Die Lifers Group rappen als Lebenslängliche aus dem Rahway East JerseyState Prison. Nina Simone swingt mit einer Chain-Gang. Auf ganz trockene Weise transportiert ihre Stimme den Schmerz ohne Hoffnung. „16 On Death Row“ ist der gnadenlose Report des sensiblen, intellektuellen Hip-Hop-Kriminellen Tupac. Trotz seines gesellschaftspolitischen Themas ist dieser Sampler ein Griff in die Reichhaltigkeit der schwarzen Musik. Nein, Knast, das ist nicht nur, wie einem die Meinungsmaschine vorbetet, das Thema posierender Gangsta-Rapper: „Jeder dritte Afroamerikaner und jeder fünfte US-Latmo wird statistisch gesehen einmal in seinem Leben einsitzen“, schreibt Fischer in den Liner-Notes zur CD. Alternativen zum Wegsperren gibt es kaum, in einem Land, das stolz auf sein hartes Durchgreifen ist. Aber die Erfahrung der sozialen Stigmatisierung provoziert im Extremfall eine Selbstschutzreaktion. Und diese macht aus dem Demütigungsraum Knast den Ort, an dem ein Initiationsritus in eine bestimmte Form der Black Community stattfindet. Eine gruselige, auf Musik basierende Erkenntnis birgt der Eröffnungstrack von Big Louisiana. Reverend Rogers und Roosevelt Charles, 1959 in Angola, einem berüchtigten Gefängnis Louisianas aufgenommen. Im Rhythmus des Worksongs fällt der Hammer, und nichts unterscheidet dieses Lied zwischen Funktionalität und Sehnsucht von den Liedern der Sklaven auf den Plantagen. In diesem Kurzschluss zwischen Gefängnis und Sklaverei offenbart sich brutal das Versagen einer Gesellschaft, die, angetrieben von archaischen Rachevorstellungen, schon lange den demokratischen Sinn des Strafvollzugs aus den Augen verloren hat.