Ideal

Ideal / Der Ernst des Lebens

Sie waren Helden - Funnyfrisch, rasant, synthetisch: Der Vierer mit Koffer überholte die Neue Deutsche Welle fast im Alleingang und hört sich immer noch gut an.

„Wenn ich damals zur Verwandtschaft fuhr, in der Nähe von Dortmund .fingen die sofort an zu schreien: ,Das ist doch viel zu gefährlich da. Wenn da die Russen kommen!‘ … Berlin war schön eingekesselt. Das war ein guter Schutz gegen die blöden Westdeutschen. Ich habe mich da total wohl gefühlt. Ich fand die Mauer so was von klasse.“ (Annette Humpe in „Verschwende deine Jugend“) Die erste Single von Ideal im August 1980 war ein dahingeschmissener Liebesgruß an die großartig abgerockte Stadt Berlin: „Ich füihl mich gut, ich steh auf Berlin.“ Irgendwie schon Punk, nur mit funky Baß-Bumms. Aber halt: Punk wollten sie nie sein. Und die richtigen Punks straften Ideal sowieso nur mit Verachtung (wahrscheinlich, weil Ideal schon diese unschwere Popmusik in Angriffnahmen, die den Deutschen kein Begriff ist). Ideal, neben Annette Humpe (Klavier, Gesang) Eff Jott Krüger (Gitarre), Hans J. Behrendt (Drums) und Bassist Ernst Ulrich Deuker, wurde am Vorabend der Neuen Deutschen Welle ins Leben gerufen und überholte diese in der Folgezeit fast im Alleingang. „Blaue Augen“ und „Rote Liebe“ blinkten ein Jahrzehnt lang auf allen Feten der Republik, Partymusik, in die ernsthaft sich zu verlieben allerdings auch schwierig war, weil man sie mit zu vielen anderen teilen mußte (wie man „Burning Down The House“ von den Talking Heads teilte, Duran Duran und die frühen Cure-Hits). Aber das war die Liga für Ideal. „Blaue Augen“ und „Hundsgemein“ hatte Annette Humpe schon mit den X-Pectors vor der Geburt von Ideal gespielt. Als Eff Jott Krüger zur Band stieß, übernahm er den Gesang von „Hundsgemein“ in der festen Absicht, wie das letzte Arschloch zu singen. Vielleicht lag’s ja am blubbernden Disco-Shuffle oder der zeitlos schönen Trompete im Intro des Songs auf Ideal (4,5) -Krüger klang dann doch eher wie eine Parodie auf dieses Arschloch, ein Typ, über den man 1980 ernsthaft grinsen wollte. Das Gros der Songs auf dem Debüt, das in zehn Tagen in Winsen an der Aller mit einem Budget von 25.000 D -Mark aufgenommen wurde, hört sich immer noch gut an, funnyfrisch, rasant, ruhelos. Es singt, verraten die Credits, „der Männerchor der Deutschen Bundesband“. „Deutsche Bundesband“ stand auch als Bandname zur Diskussion, doch dann entschied man sich für Ideal und machte aus der „Bundesband“ einen Cover-Witz. Aber der grummelnde, manchmal tieftönende Herrengesangsverein (Krüger, Deuker, Behrendt) besetzte eine nicht zu unterschätzende Position im Ideal-Pop, er war das Kontrastmittel zum görenhaften Krächzen der Humpe, die vierte Soundfarbe hinter Keyboards (munter, weit vorne), Gitarren (schroff, weit hinten) und Lead-Gesang. „Paradebeispiel für profane Popmusik“, lobt Matthias Mineur im Bestenlistenbuch „Made in Germany“ das Ideal-Debüt und einen hundsgemeineren Ausdruck gegen das geniale Dilettieren und die einstürzenden Songobjekte der Punks hätten Ideal auch nicht finden können. Profaner Pop, undenkbar damals und doch ein Riesenerfolg: Acht Monate nach Veröffentlichung stieg Ideal in die deutschen Charts ein, am Ende hatte die Platte sich fünf Millionen Mal verkauft. Ideal waren selbstbewußt, verspielt, sie waren schon in der kumpeligen Normalität der 8oeT angelangt, als Fehlfarben und Palais Schaumburg noch mit flatternden Wimpern in diese fremde Welt stierten. TV und Video und die ganze Szene lassen sie völlig kalt, singt Humpe: „Da bleib ich kühl, kein Gefühl“heißt die Zeile aus „Blaue Augen“, die noch ein paar neue deutsche Wellen überdauern wird.

Es waren wohl einige Bandfotos, die Anlaß zur Beleidigung „Tanzkapelle“ gaben, der Geschmack der Szene war ein anderer. Möglicherweise sehen Ideal in der Rückschau wie die Kapelle aus, für die Guido Westerwelle das Wortchen Rock n Roll benutzen würde. Doch der Stil täuscht. Es wurde nicht in die Hände gespuckt, es ging auch nicht um die Steigerung des Bruttosozialprodukts. Das zweite Album mit dem (schon wieder wegweisenden) Titel Der Ernst des Lebens (4), 1981 mit Conny Plankaufgenommen, vertiefte das Studium der Konservengesellschaft, eine Art Dunkeldeutschland auf der kapitalistischen Seite der Mauer, Annette Humpe plädierte stilsicher fürs „Erschießen“: „Komm, wir lassen uns erschießen, zwei Schüsse mitten ins Gehirn. Komm, wir lassen uns erschießen, ich hab nichts zu verliert!.“ D^d es dann doch eine Zukunft in diesen kratzigen Großstadtliedern gab, die in hektischen Beat gegossen waren, ist typisch Ideal. Was die Band von den Punks und Kunststudenten trennte, war der unbedingte Wille zur Vorwärtsbewegung (hallo Charts!) in der kalten, von Mauern umschlossenen Miniatur-Welt, die so lange nicht mehr Bestand haben sollte. 1983 war die NDW im Kommerz ersoffen – gerade in dem Moment, da Ideal eine Popmusik abseits vom Kasperletheater von Markus und Fräulein Menke hätten fortspinnen können, verabschiedeten sie sich vom Geschehen.

Die beiden Wiederveröffentlichungen sind mit schön erzählter Band-Bio, einigen unveröffentlichten Fotos und vier Bonus-Tracks ausgestattet worden: „Männer gibt’s wie Sand am Meer“, die B-Seite der ersten, selbstgepreßten Single „Wir stehn auf Berlin“, eine Krüger-Vocals-Version von „Roter Rolls-Royce“, ein Spaß-Cha-Cha-Cha aus derselben Aufnahmesession („Duett“) als Hidden Track auf ideal und „Das Geheimnis der Großstadt“. Wir wollen nur das eine: Haben haben haben!

VO:31.1O.