Hung’r, od’r?

Die Schweiz ist schon ein seltsames Land. Vier Amtssprachen gibt es in der Confoederatio Helvetica — Deutsch, Französisch, Italienisch, Rätoromanisch — und eine Musikszene, die diese voll ausnutzt. Da entsteht wie von selbst ein breites Spektrum, die Möglichkeit, Pop jenseits der üblichen Muster zu machen. Das gilt auch für Sophie Hunger. Das Debüt MONDAY’S GHOST (2008) der Singer/Songwriterin enthielt mit „Walzer für Niemand“ nur einen deutschsprachigen Song, auf dem Nachfolger 1983 gibt sich Hunger multilingual. Der prägnante Titeltrack ist auf Deutsch gesungen, die zärtliche Ballade „D’Red“ auf Schweizerdeutsch und „Le Vent Nous Portera“ ist die Coverversion eines Songs der französischen Band Noir Desir. Nun kann man aus Hungers Biografie die Gründe für den Facettenreichtum herauslesen. Diplomatenkind, aufgewachsen in London, Zürich und Bonn. „Englisch war die erste Sprache, die ich richtig beherrschte. Mit drei war ich im englischen Kindergarten. Ich glaube, es ist immer noch die Sprache, die am tiefsten in meinem Bewusstsein verankert ist. Wenn ich mit einem kleinen Kind oder mit einem Hund rede, wechsle ich automatisch ins Englische“, erzählt sie. „Deutsch und Schweizerdeutsch kann ich heute natürlich viel besser. Ich glaube, deshalb fällt es mir schwerer, Lieder auf Deutsch zu schreiben. Ich habe wahnsinnigen Respekt davor und mehr Angst, dass die Songs nicht gut werden. Zu Englisch habe ich ein verspieltes Verhältnis. Das ist gesünder.“

Schlagen sich die Sprachen denn auf die Inhalte nieder? Ist ein englischsprachiger Song wie der „Sophie Hunger Blues“ vom letzten Album direkter zu lesen als das deutsche „1983“? Hunger, die im Gespräch ohnehin vorsichtig ist, wechselt jetzt in eine durchaus glaubwürdige Bescheidenheit. „Ich bin noch so jung, ich habe erst ein paar Lieder geschrieben. Ich weiß nicht, ob ich schon das Recht habe, Prinzipien zu formulieren“, sagt sie. „Aber es ist mir aufgefallen, dass ich auf Deutsch sehr unbestimmt bleiben möchte. Vielleicht auch, weil ich es kann.“ Und der Charakter? Sprachen sagt man gewisse Eigenschaften nach. Deutsch, die harte Sprache. Französisch, gut, wenn’s um die Liebe geht. Hunger lehnt diese Einordnung spöttelnd ab. „Das ist ein Mythos. Dass man die gutturalen Laute als hart wahrnimmt, ist Geschmackssache. Ich bin mir sicher, dass das nicht immer so war. Vielleicht galten die vor ein paar hundert Jahren mal als sehr weich.“ Hungers Songwriter-Jazzpop fand in der Schweiz Förderer in der Industrial-Band The Young Gods und in Stephan Eicher. Doch sie nennt einen anderen, wenn man die 27-Jährige nach ihrem Tipp in Sachen eidgenössischer Musik fragt, wenn man wissen möchte, welcher Künstler einem helfen könnte, ihr Land zu verstehen: Mani Matter, 1972 verstorbener Mundart-Liedermacher. Das Gitarrenpicking von dessen „Hemminge“ findet man mit ein bisschen Fantasie auf 1983 wieder.