Grizzly Bear – Veckatimest :: Die Schatzinsel auf der Karte des Pop Grizzly Bear

Mit dem Herbeiwünschen von Jahrzehntalben oder Geniestreichen, von jüngsten Beiträgen zum – großenteils gähnenswerten – Rock-Kanon, stilbildenden Werken oder einfach nur Coming-outs ist das eine gefährliche Sache. Die Wirklichkeit weiß in den meisten (popkulturellen) Fällen der Erwartung ein Schnippchen zu schlagen. Nach dem Gesetz der Serie also hätten Grizzly Bear mit VECKATIMEST scheitern müssen. Dass Robin Pecknold von den nicht weniger gefeierten Fleet Foxes die neue Songkollektion von Grizzly Bear kurz entschlossen zum „besten Album der Nullerjahre hochtwitterte, war das Tüpfelchen auf dem „i“ zum aufgeregten Vorspiel dieser Platte. Schließlich erreichte die Grizzly-Bear-Fieberkurve im April einen vorläufigen Höchstwert, als das komplette Album in Form eines illegalen Downloads im Internet auftauchte, wenn auch in minderwertiger Qualität. Im Weltweitwebsprech hörte sich das so an: „Yeah, it leaked“ vermeldete Ed Droste, und er macht bis heute nicht den Eindruck, als ob ihn das ernsthaft ärgern würde. Muss es auch nicht. Das Gewese um VECKATIMEST ist das gerechte Spektakel, das jedes Meisterwerk anzieht; Genießer werden später die Vinyl-Deluxe-Edition erwerben und besserwisserisch schweigen. Die Sensation lag ja in der Luft, von einer Band,die Yes‚“OwnerOf ALonely Heart“ ironiefrei covern kann und einen Girlgroup-Hil wie „He Hit Me“ (Crystals) genial in eine Gay-Pop-Kathedrale verlegt, durfte man in der Tat etwas mehr als nur ein weiteres gutes Indie-Pop-Album erwarten. Auf VECKATIMEST haben sich nun die Geister der Vergangenheit, der Gegenwart und Zukunft verabredet, an den Fäden zu ziehen, die diese Musiker durch den amerikanischen Raum bewegen, mit Gitarre, Bassklarinette und dem Blues, den Schöngeister nie ganz ablegen können. Es ist ein gar unwirkliches Spiel, in dem man mühelos die Beatles, die Beach Boys, das Electric Light Orchestra oder die sehr amerikanische Band America („Horse With No Name“) als Referenzen erkennen kann. Aber es vergehen bei Grizzly Bear nie mehr als zehn Sekunden, und ein Song biegt rechts und links der Pop-Prachtalleen in eine dusty road ein, in der wir das posttraumausche New York unserer Jahre entdecken. Oder einen dieser sehnsüchtigen Rufe von Sänger Ed Droste hören können, der aus den Orchesterwinden aufsteigt: „You’ll never find me now I Bull I’ll return to you / Wheter you return to me.“

Das ist der Anfang des Albums, der „Southern Point“. Droste beginnt hier die Untiefen seiner Beziehung(en) auszuloten, er bleibt konsequent vage, wir spüren, das können nie unsere Geschichten werden. Diese Distanz macht die Songs von Grizzly Bear größer, Ed Droste, Chris Taylor (Bass, Holzbläser, Produktion), Daniel Rossen (Gesang, Gitarre) und Chris Bear (Drums) haben die Formel für die kollektive Sehnsuchtsmclodie entdeckt. Überall lauert diese, im Doo-Wop-Pop-Drama mit dem kurzen Kcyboardklimpern, das an, believe it, Supertramp erinnern darf und im Beach-Bauch von Brian Wilson verschwindet („Two Weeks“), im kurvigen Psycho-Madrigal „Dory“ und im scheppernden Überpophit „While You Wait For The Others“. VECKATIMEST, mehr Lautbild als Ausflugsziel, tatsächlich der Name einer unbewohnten Insel bei Cape Cod. VECKATIMEST ist bei aller Konzentration auf das Atmosphärische kein Supermarkt der Stile und Haltungen geworden, mehr ein Album der gesammelten Erfahrungen des etwas anderen Folk. Bear, Droste, Rossen und Taylor haben sich befleißigt, an der optimalen Raumgestaltung in den Songs zu arbeiten. Gitarre, Bass, Sänger und Chor spielen sich die Bälle passgenau zu, es wimmelt von fernen „Uhuhus“ und „Owowowoos“, die Chris Taylors knackige Bass-Akkorde im entscheidenden Moment irgendwo in den Orbit tragen. Eine Art von Psychedelic Pop wird das, wenn es eines Tages fertig werden sollte.

Wir lauschen einer Live-Schaitung in die Akademie für Polyphonic. Der Vorgänger YELI.OW HOIISE (2006) glich schon einem Hochweitsprung, wohin VECKATIMEST letztendlich will, wissen wir noch nicht. Grizzly Bear (der Kosename, den der Sänger einem Ex-Lover verdankte) war anfangs mehr ein Soloprojekt Drostes, eine Suchmaschine für Worte und Töne, die man nach einem beschissenen Ende einer Beziehung gebrauchen kann, das wäre jetzt noch einmal auf dem Album HORN OF PLENTY (2004) nachzuhören. Mit dem neuen Songdutzend hat das Quartett aus Brooklyn die Kartographie des Pop um eine fantasmagorische Schatzinsel erweitert. Diese Tracks haben wir fürs einsame Eiland notiert: „Two Weeks“, „Dory“, „While You Wait For The Others“, „I Live With You“, „Cheerleader“, „Fine For You“.

www.grizzly-bear.net

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