Morphing in der Müllinstallation. Oder: Der Klassenbeste des Pop hat einen Schritt zur Versöhnung von Mainstream und Underground getan.

Die Platte des Monats im April 2010:Gorillaz – Plastic BeachDamon Albarn hat ja schon versichert, dass es keine weiteren Gorillaz-Platten geben wird. Trotzdem gibt es jetzt eine neue Platte. Albarns Cartoon-Band Gorillaz, die ausgezogen war, dem alternden Popbetrieb eine Fratze zu schneiden und das Celebrity-Theater zu unterlaufen, hat sich längst in diesem Betrieb festgesetzt. Das beginnt mit der unanständig umfangreichen Stargästeliste dieses Albums (Bobby Womack, Lou Reed, Snoop Dogg, Mos Def, Mark. E. Smith, Gruff Rhys). Das setzt sich fort im alles umarmenden Spiel mit den Stilen und Einflüssen, dem sich die Gorillaz als künstliche Eklektiker über 56 Minuten verschreiben – dieses Album will die Freunde der Oper gewinnen und das traditionelle Rock-Publikum behalten, es sucht die Electronica-Gemeinde, die Hip-Hop-Homies und Calypso-Kundschaft vom Honest-Jons-Label.Es will nicht weniger als Mainstream und Underground versöhnen.Am Überbau ist natürlich auch nicht gespart worden, beim titelgebenden PLASTIC BEACH handelt es sich um ein Abbild der Gier, die selbst uns, liebe Bio-Kundschaft, noch ins Armageddon treibt, ein aus dem Müll der Menschheit erschaffenes Eiland, auf dem unsere liebsten Manga-Zombies jetzt grimassierend thronen: Rasselbandenoberst Murdoc, der aus den Kong-Studios gekidnappte Sänger 2D und eine Cyborg-Version von Gitarristin Noodle, Drummer Russel kam der Band abhanden. Die Geschichte geht weiter, das Marketing (Buch, Homepage, Radioshow) steht wie eine Eins – von der Produktion bis zur Promotion fahren die Gorillaz ihre Krallen aus und lassen nicht mehr locker.Die beruhigende Nachricht: All das hat nicht ausgereicht, die Popmusik der Gorillaz in ihren Grundfesten zu erschüttern. PLASTIC BEACH muss ein ordentliches Stück Arbeit gewesen sein, aber die Mühen an der digitalen Werkbank haben sich für Albarn ausgezahlt, er vermag die Sounds aus den Randgebieten des Pop bis in die schönste MP3samkeit wachsen zu lassen. „The revolution will be televised“ tönt Snoop Dogg im Willkommenstrack dieses 16-Song-Zyklus’ in Umkehrung von Gil Scott-Herons Waffeng(es)ang. Nun soll die Revolution ja bereits über den Schirm gelaufen sein, als keiner zugeschaut hat. Albarn hat aber erkannt, dass er, wenn schon nicht das Prinzip Pop revolutionieren kann, dann doch das alte Regime der Sounds Stück für Stück zum Einsturz bringen könnte. Wer nun fragt, warum der coole Songdenker sich dafür hinter einer Cartoon-Dumpfbacke verstecken muss, erhält hier die Antwort: die Arbeit am lebenden Patienten Pop erfordert ein paar Tricks, ein paar Schnitte im Geheimen.Morphing könnte man das Verfahren nennen, das Albarn auf Sounds und Songstrukturen anwendet. „White Flag“ ist der außergewöhnlichste unter den nicht ganz alltäglichen Popsongs auf PLASTIC BEACH, aus dem Unschulds-Calypso wächst ein Hip-Hop-Brummer, der zum Finale wieder in die karibische Hängematte fällt. „Glitter Freeze“ hat den Beat, der auch „Girls & Boys“ gut gestanden hätte. „Stylo“ hat was von „Stayin’ Alive“ (Bee Gees), tickt wie das Elektroherz von Afrika Bambaataa und irritiert mit einem völlig losgelösten Bobby Womack. Es ist natürlich der reine Zufall, dass PLASTIC BEACH einem Remix aus dem kompletten Schaffen Albarns gleichkommt – von Blurs Debüt LEISURE 1991 bis zur MONKEY-Oper 2007. Aber es handelt sich um die beste große Platte, die der Brite gerade machen konnte.Für die interessanten Kleinigkeiten vertiefen Sie sich bitte im Katalog von Honest Jons.