Farin Urlaub
Berliner Schule – Fragwürdige Heimaufnahmen von 1984 bis 2013
Völker hört die Tonträger/Universal/Finetunes (VÖ: 13.10)
Der Weltenbummler hat viel Zeit zuhause verbracht, sein Punk-/Rock-Archiv ausgemistet und fördert jetzt nicht nur Mist zutage. Aber schon auch. Das muss so sein.
Etwas Genugtuung spielt bei der Veröffentlichung bislang unveröffentlichten Materials zwangsläufig stets mit: nicht ganz zu Ende gedachte Ideen oder von Kollegen verschmähte Demos mit (vielen) Jahren Abstand dann doch noch Abertausenden zur Verfügung zu stellen. Im Falle von Farin Urlaubs Resteverwertung kommt noch eine Dimension Genugtuung hinzu – mit dem Albumtitel.
Selbstbewusst nennt er das Doppel-Album BERLINER SCHULE, ein Gegenentwurf zur Hamburger Schule, mit deren Aufkommen man ihm damals die Relevanz absprechen wollte. Ha! Fresst Berlin, ihr Trainingsjackenträger und Kasperle-Lookalikes! 28 Stücke hat der 54-Jährige hier zusammengetragen, sie reichen von der groben Skizze bis zum fast ausproduzierten Song, vom simplen, aber charmanten DÄ-Entwurf bis zum technisch ausgereiften, aber immer irgendwie bemühten FURT-Exposé – unbeschwert, anstrengend, albern, genial.
Und sie funktionieren – auch das dürfte dem Spotify-fernen Urlaub Genugtuung verschaffen – nur als physischer Tonträger, als Gesamtpaket mit dem Booklet, in dem er ausführliche Erklärungen zu den Songs liefert, gespickt mit erstaunlich offenherzigen biografischen Details des größten deutschen Rockstars, dessen Privatleben annähernd unbekannt ist. Am Schönsten an den Linernotes: eine Zitatsammlung daraus ergibt einen Liebesbriefwechsel zwischen Urlaub und Bela B, der das krachend lustige Vorwort verfasst hat.
Natürlich ist dieser Compilation nicht in erster Linie an musikalischer Qualität gelegen – es gibt hier keine Hits zu hören, aber viele Vorlagen für spätere –, sondern an Erkenntnisgewinn und daher lädt diese Spurensuche ausschließlich Die-Hard/Ärzte-Fans ein. Die dürften sich auch ob des gerade wegen seiner Unauffälligkeit auffälligen Covers wundern. Von einem, dem Artwork gar nicht spektakulär genug sein kann, gibt’s diesmal nur eine angerissene Gitarre. Alles in Schwarzweißgraurot gehalten. Das erinnert doch an: Thees Uhlmann. Und damit wieder zurück zur Hamburger Schule? Nein, wir bleiben erst mal in Berlin. Dauert ja auch, so eine Doppel-CD.