Esbjörn Svensson Trio – Leucocyte

Die Redakteure der Prime-Time-Nachrichtensendungen sind Kulturbanausen. Während nicht nur in Fachmagazinen Nachrufe auf den Jazz-Pianisten Esbjörn Svensson erschienen, der im Sommer bei einem Tauchunfall ums Leben kam, war das der „Tagesschau“ nicht mal eine Meldung wert. Eine Unterlassungssünde? Nicht, dass Svensson mit seinen Trio-Kumpanen Dan Berglund (b)und Magnus Ostrom (dr) dem Jazz nicht so manche Vitaminspritze verpasst hätte. Auf mehr als einem Dutzend Alben, mit denen das Esbjörn Svensson Trio einen energiereichen Mix aus Jazz, Funk, Pop und Drum’n’Bass geboten hat. Selbst manchen Prog-Rock-Ausbruch konnte man mitdem unvergleichlichen Drive steuern. So anspringend das alles war, so fehlte auf Dauer das Subversive. Erstaunlicherweise haben E.S.T. aber genau das noch auf Svenssons Vermächtnis leucocyte gewagt. Natürlich ist der markante Sound allgegenwärtig, versteigt sich Svensson auch in „Jazz“ wieder bravourös in swingende Kernigkeit a la Keith Jarrett. Doch ansonsten befindet man sich in einem elektro-akustischen Spiegelkabinett, in dem die Klaviertöne wie wild schimmernde Glasperlen einschlagen. Aus den abstrakten Versuchsanordnungen in Bass und Schlagzeug entsteht eine magisch dahinmäandernde Ambient-Kultur. Oder es geht trashig bis hin zu anarchischen Urklangtheorien zu. Selbst die komplette Stille hat in diesem abenteuerlichen Kosmos ihren Platz (im einminütigen „Ad Interim“). Davon könnte der Jazz des 21. Jahrhunderts mehr vertragen. Umso schwerer fällt der Abschied von Svensson.

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