Eminem

THE DEATH OF SLIM SHADY (COUP DE GRÂCE)

Shady Records/Aftermath/Interscope (VÖ: 12.7.)

Neues vom Dauerbeleidigten. Eminem führt auch 2024 weiter, was er vor einem Vierteljahrhundert begann: Die Beschreibung dessen, was passive und aktive Aggressivität so herstellen können, wenn sie künstlerisch gezähmt werden.

Marshall Bruce Mathers ist also wieder da. Und diesmal will er Schluss machen, mit „Slim Shady“, jenem Frechdachs, der uns vor geraumer Zeit gleichermaßen Respekt abrang, wie den Atem raubte. Sein neues Album flicht alte Zöpfe weiter, knotet aber hier und da ungewohnte Materialien mit ein. Viele davon hat man schon mal gesehen, andere noch nicht oder nur kurz, im Vorbeigehen. Der Zopf wird immer länger, die Frisur bleibt aber gleich.

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Ursprünglich aus den Sümpfen der Ausweglosigkeit eines Lebens in Trailer Parks und ewigem Schulversagertums hervorgekrochen, gibt Mathers, der früh Traumatisierte, der große amerikanische Textprovozierer, seit über einem Vierteljahrhundert die Schimpfkanone im HipHop, weil das ein Ausweg aus allem war und ist, was ursprünglich mal Platzverweise erteilte. Ein Leben, das in jungen Jahren nur mit Zähneknirschen, Umsichschlagen und grüngiftigem Ehrgeiz bewältigbar erschien, wird immer und immer wieder von ihm selbst vorgeführt und beschrieben – das typische Verhalten eines Gemobbten mit Überlebenswillen. Und eines Hochbegabten.

Eminems Trick: Nicht er selbst sein

Viel haben wir von Anfang an über ihn erfahren, nicht nur durch die Verfilmung seines Aufstiegs („8 Mile“), sondern schlicht auch durch eine Ära, die längst Geschichte ist – der intensiven Berichterstattung im Musikfernsehen nämlich, wo Eminem sich ab Mitte der 90er Jahre durch Freestyle und Vorwitzigkeit nach vorne schnacken konnte, sodass die von ihm gemachte Welle phasenweise alles mitriss, was nicht rechtzeitig auf Kritikerbäumen saß.

„Rapboy“ vs. Slim Shady: Eminems Alter Ego wütet gegen Transgender

Sein Trick: Nicht er selbst sein. Sogar sein Künstlername Eminem, den er sich schon früh zugelegt hatte, reichte irgendwann nicht mehr, und so kam 1997 noch ein dritter hinzu. Mit „Slim Shady“ brachte Mathers nicht nur einen neuen Namen, sondern gleich eine ganz andere, selbsterdachte Figur auf den Plan. Shady wurde zu seinem gewalttätigen, entgrenzten Alter Ego, das sich ordentlich was rausnehmen konnte. All das gefiel sogar Dr. Dre – der Rest ist Geschichte.

Hier will jemand offensichtlich nicht so richtig sterben

Mit THE REAL SLIM SHADY kam 2000 eine kleine Sensation heraus. Überhits („My Name Is“) und weltweites Verwundern über den ersten Weißen Erfolgsrapper mit West-Coast-Absolution, folgten. Das Album verkaufte sich 21 Millionen Mal. Nun, mittlerweile über 50 und bärtig, bezieht sich Eminem auf diese erste Phase seiner Karriere, die in den letzten 20 Jahren geprägt war von weiteren Erfolgen, verwirrenden Ankündigungen und Überraschungsalben. Aber auch mit persönlichen Schwierigkeiten durch exzessiven Medikamentenmissbrauch.

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Sein 12. Werk trägt den Titel THE DEATH OF SLIM SHADY (COUP DE GRÂCE). Ein behaupteter „Gnadenstoß“ also. Nach eigener Aussage handelt es sich um die Beschreibung des Mordes an seinem zweiten Ich „Slim“, in Form eines musikalischen True-Crime-Formats. Hier soll eine Geschichte erzählt werden, ein Episoden-Epos. Wohl auch deshalb forderte Eminem seine Fans auf „X“ unlängst auf, die Tracks des Albums wirklich hintereinander zu hören, da es sich um ein Konzeptalbum handle.

Eminem stirbt in seinem neuen Musikvideo zu „Tobey“ (Video)

Das Cover ziert sein Gesicht, das uns aus einem Leichensack heraus überrascht und erschrocken zugleich anschaut, der kurz davor ist, verschlossen zu werden. Hier will jemand offensichtlich nicht so richtig sterben, wehrt sich aber nicht gegen seinen Abtransport ins Leichenhaus. Diese Haltung zieht sich durch die 19 Tracks des Albums – mal will Eminem Gefühle zeigen, die ins Positive lappen, etwa wenn er die Liebe zu seiner Tochter Hailie berappt („Somebody Save Me“), dann wieder gibt er sich gewohnt queerfeindlich, wenn er in „Habits“ postuliert, Caitlyn Jenner habe sich ihre Geschlechtsidentität einfach nur selbst „gewählt“, also ausgedacht.

Hier will sich jemand von etwas verabschieden, scheut aber die letzte Konsequenz

Als eines der ersten Videos zum Album erschien, konnte man schon ahnen: Hier will sich jemand von etwas verabschieden, scheut aber die letzte Konsequenz. In „Houdini“ kämpft der heutige Eminem mit dem Blondschopf Slim Shady, besiegt und tötet ihn aber nicht, sondern verschmilzt mit ihm zu einem Hybriden. Der Tod als inkonsequente Pose, die Rätsel aufgibt.

Steve Miller geehrt von Eminems „Abracadabra“-Sample in „Houdini“

Musikalisch hat sich nichts an der gewohnten Meckerziegigkeit des Künstlers geändert. Wer die ganz große Neuaufstellung erwartet hat, wird enttäuscht, oder eben auch nicht – je nach Sichtweise und persönlichem Wunsch. Im Grunde bleibt alles beim Alten. Zitate (z.B das ohrwurmige „Abracadabra“ der Steve Miller Band) teasen Stimmungen an, es wird gefeatured (z.B. Baby Tron von den ShittyBoyz!) und, sich selbst überstolpernd, auf zickige Art gerappt.

Auch „weird geschmacklos“ ist dabei

All das kommt gar nicht mal so neu daher, wüsste man nicht, dass dies Eminems neuestes Werk ist, man würde es eher vor 13 Jahren verorten, so seltsam basslos und flach wirkt es in weiten Teilen. Aber es gibt auch Highlights: Der superkurze Track „Trouble“ ist saftig und rund, „Brand New Dance“ ist vollgestopft mit lustigen Klappergeräuschen und Pferdegewieher. Das macht Spaß. In „Antichrist“ taucht ein Carl-Orffsches Xylophon auf, das dem Stück unterschwellige Wärme schenkt. Auch „weird geschmacklos“ ist dabei. In „Guilty Conscience 2“ wird orchestraler Bombast bemüht. Piano, Streicher, Chöre – alles zu viel, aber ganz geil irgendwie.

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Zum Schluss bleibt die Hoffnung, Marshall Mathers möge sich beim nächsten Album etwas stärker mit dem Konzept „Neuerfindung“ beschäftigen. Etwas risikoreicher agieren. So reitet er seine eigene Legende in eine Müdigkeit hinein, die seiner eigentlich nicht würdig ist. Außerdem: Obwohl Marshall, Slim, Eminem und noch gefühlt 100 weitere Abspaltungen des Ausgangskünstlers, sich politisch klar demokratisch positionieren, sollte sich ihr enger Freund Elton John vielleicht endlich mal Zeit für Nachhilfe im Fach Gender-Studies nehmen. Da hapert es noch etwas bei diesem ja ansonsten hochgeschätzten Mischwesen.

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