DJ Hell

Zukunftsmusik

International Deejay Gigolos

Auf dem fünften Album des Münchners gibt es kaum Techno, aber viel düstere elektronische Popsongs, mit einer unverschämten Liebe zum Sounddetail ausgestattet.

Um die Zukunft zu verstehen, muss man die Vergangenheit kennen, hat einmal ein schlauer Mensch gesagt. Nur darf die Kenntnis der Vergangenheit in der Kunst nicht in kontextlosen Recycling-Produkten resultieren. Entwicklung, künstlerische Evolution folgt einer geraden Linie, die von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft führt. DJ Hell hat schon 2009 mit seinem vierten Album TEUFELSWERK gezeigt, dass die Verarbeitung musikalischer Vergangenheiten im Zeitkontext zu einer gloriosen Zukunft führen kann.

TEUFELSWERK war das Opus magnum, das in die Breite gegangen ist, es hat die musikalische Sozialisation von DJ Hell in all ihrer Vielfalt gezeigt und war von „kosmischer Musik“, Disco, New Wave, EBM, Techno, Psychedelia und Space-Rock beeinflusst. ZUKUNFTSMUSIK, acht Jahre später, ist das Opus magnum, das in die Tiefe geht, in dem Hell die wesentlichen Teilaspekte seiner Einflüsse seziert, jene Zeit in der New-Wave-Ära, Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre als der Pop schon elektronisch war, aber die Genres noch nicht so ausdifferenziert wie heute waren. Dass Hell Techno kann, muss er nicht mehr beweisen, er tut es auf ZUKUNFTSMUSIK, das er in Wien gemeinsam mit Peter Kruder aufgenommen hat, genau einmal: mit der Kurzversion von „I Want You“, einem knüppelharten EBM-beeinflussten Proto-Techno-Track, einer Hommage an die Wurzeln des Techno in der Gay-Culture; der Song wird von einem dem x-rated Tom-Of-Finland-Video begleitet.

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Der nicht kleine Rest des Albums besteht aus düsteren elektronischen Popsongs, die mit einer unverschämten Liebe zum Sounddetail ausgestattet wurden. Es gibt Ambient-hafte Soundlandschaften („High Priest Of Hell“), die so zart dahintröpfeln, dass das nächste Level die absolute Stille wäre. Der David Bowie der LOW-Phase dringt durch (Saxophon über sphärischen Sounds!), Kraftwerk („Car Car Car“ ist der Auto-Song, den die Düsseldorfer nie gemacht haben), aber auch Soundtrack-Musik aus den 70er-Jahren, vergleichbar mit der des nicht-orchestralen Ennio Morricone. Es hat experimentelle Tracks, wirre Soundkonstruktionen. „Army Of Strangers“ etwa beginnt mit zarten Tönen, die sich zaghaft zu einer Melodie formieren, wird dann zu einem Popsong, der in einem Stakkato-Streicherarrangement kulminiert, um danach als Streicher-dominierte Ambient-Suite auszulaufen. Die Mehrheit der Tracks auf ZUKUNFTSMUSIK ist von purem Understatement gekennzeichnet – hier will niemand groß auf die Kacke hauen – , aber auch von einer herzzerreißenden Melancholie durchdrungen.