Diverse, Higher Ground

Auf nationale Schicksalsschläge reagiert die Betroffenheitsprominenz weltweit nahezu identisch. Dann wird mit riesigen Tränensäcken in der Stimme die Solidarität besungen, damit der Spendentopf Höchststände erreicht. Doch es geht auch wesentlich entspannter und fast ohne Gefühlsduseleien. Nachdem der Hurrikan Katrina für heftigste Unordnung in New Orleans gesorgt hatte, lud am 17. September 2005 Jazztrompeter Wynton Marsalis zum „Higher Ground“-Benefizkonzert ein. Das Live-Statement fand zwar in New York und nicht in Marsalis‘ demolierter Heimatstadt statt, dafür rückte fünf Stunden lang die Creme de la Creme aus Jazz, Blues und Südstaaten-Folk zusammen, um mutmachende Grüße auszusenden. Norah Jones, Diana Krall, die Neville Brothers, Bette Midler und James Taylor – all diese und noch viel mehr machten aus ihrem Herzen keine Trauergrube, sondern erwiesen der Geburtsstätte des Jazz eine erstklassige Referenz.

Zumindest, wenn man nach den Höhepunkten der Gala geht, die auf eine CD passen und deren Verkaufserlös natürlich nur guten Zwecken zukommen soll. Aus dem Marsalis-Künstlerclan sorgte Pianist Marcus Roberts für einen blitzeblank geputzten „New Orleans Blues“, während der Bob Geldof des Jazz, Wynton Marsalis, mit seinen Hot Seven den wieselflinken und kecken „Dippermouth Blues“ von Louis Armstrong aufs Parkett legte. Die chilischarfen Mardi-Gras-Aromen streute Altmeister Buckwheat Zydeco unters Volk, und Meistersaxophonist Joe Lovano ließ mit seiner Band Modern-Jazz-Einheiten anspruchsvoll zucken. Da aber eine Prise US-Patriotismus dann doch nicht fehlen durfte, übernahm von den 15 Künstlern die sensationelle Jazz-Soul-Röhre Dianne Reeves diesen Part. Mit „The House I Live In“, in der sie die Worte „America und „Democracy“ mit vokaler Inbrunst in den Himmel und unter die Gänsehaut des Publikums matte. Auf den Boden der brillanten Singer/Songwriter-Tradition wurde das glücklicherweise schnell wieder zurückgeholt – mit Norah Jones‘ Coverversion von Randy Newmans „I Think Ifs Gonna Rain Today“. Und wenn zum krönenden Abschluß Cassandra Wilson mit ihrem warmen, dunklen Timbre und dem Lincoln Center Jazz Orchestra die Ballade „Come Sunday“ zelebriert, ist jegliche Alltagslast endgültig der Kunst gewichen.

www.wyntonmarsalis.net