Dinosaur Jr
THE BLACK SESSION – LIVE IN PARIS 1993
Cherry Red (VÖ: 5.4.)
Indie-Rock, live aus dem französischen Studio und ganz ohne Blutverlust.
Wer Dinosaur Jr jemals live gesehen hat, der weiß, dass EAR BLEEDING COUNTRY, Titel der Best-of-Compilation von 2002 und frühe Selbstdefinition des Trios aus Amherst, Massachusetts, keine leichtfertige Übertreibung ist. Angesichts der Lautstärke, die Dinosaur Jr oft über die Maßen aufdrehen, und der zweifelhaften Akustik, die allzu viele Kellerclubs und Konzerthallen bieten, gehen aber leider auch allzu gern die Feinheiten auszischelnden Gitarrenspuren, Feedbacks und legendärer Effektpedal-Hexerei von J Mascis verloren.
Oder anders gesagt: Der Sound bei Dinosaur-Jr-Konzerten war und ist gern mal bloß ein großer, gewaltiger Matsch. Und wenn Mikrofone schlapp und Ohren zu machen, bleibt oft genug nur mehr rohe Energie und Noise, wie in unzähligen YouTube-Clips bezeugt wird. Die Voraussetzungen beim Auftritt der Band im Jahr 1993 im Studio 105 des Maison De La Radio in Paris waren aber ganz andere. Der beeindruckende Bau am Ufer der Seine, der aufgrund seiner runden Form auch „maison ronde“ genannt wird, ist das Hauptquartier und zentrale Funkhaus von Radio France.
THE BLACK SESSION zeigt, dass Dinosaur Jr an guten Tagen eine Live-Band sind, die den Zombie Rock noch mal zum Träumen bringen kann
Die verschiedenen Venues im Maison De La Radio, in denen nicht zuletzt viel klassische Musik aufgenommen wird, sind berühmt für ihre hervorragende Akustik. In den Genuss dieses Raumklangs kamen viele namhafte Indie-Acts, die sich hier seit 1992 in der Reihe „Black Sessions“ die Klinke in die Hand gaben – aber vielleicht niemandem dermaßen zugute wie Dinosaur Jr. Zum Zeitpunkt des Auftritts war die erste, grandiose Phase der Originalbesetzung schon Geschichte, Bassist Lou Barlow hatte die Band verlassen, Mascis hatte GREEN MIND (1991) nahezu im Alleingang eingespielt und eben war WHERE YOU BEEN (1993) erschienen, aufgenommen mit Originaldrummer Murph und dem neuen Bassisten Mike Johnson.
Diese Besetzung macht nun aus den Bedingungen das denkbar Beste und verbindet die Klarheit einer Aufnahme unter Fast-Studio-Bedingungen mit der Kraft eines Live-Auftritts – und der wortkarge Mascis verzichtet wie gewohnt auf Ansagen. Die nur neun Songs lange Playlist von THE BLACK SESSIONS ist sicher kein Best-of, dazu fehlen solche frühen Klassiker wie „Forget The Swan“, „Little Fury Things“ oder „Yeah We Know“.
Stattdessen ist „Keep The Glove“, Bonustrack vom Karrierehöhepunkt BUG (1988) zu hören, neben Hits wie „Freak Scene“ und dem Jesus-And-Mary-Chain-Cover „Just Like Heaven“, das sich Dinosaur Jr längst einverleibt haben. THE BLACK SESSION zeigt, dass Dinosaur Jr an guten Tagen und mit den richtigen Rahmenbedingungen eine Live-Band sind, die den Zombie Rock noch mal zum Träumen bringen kann, aber auch, dass der Studiosound der Band und die Gitarrentüftelei ihres Masterminds auf einer Bühne schlussendlich doch nicht in all ihrer irrwitzigen Komplexität zu reproduzieren sind.
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