Die Welt ist nicht genug vonTim Guest, Rogner & Bernhard, 364 Seiten, 19,90€

Tim Guest ist, was sein grundsätzliches Thema angeht, gewissermaßen biografisch vorgeprägt: Er wuchs in Kommunen in Indien und Oregon auf, mit Menschen, die in orange gefärbten Umhängen dem Rolls-Roycesammelnden Baghwan-Guru huldigten-im selben Alter (29), in dem seine Mutter beschlossen hatte, die öde Realität des neoliberalen Totlebens hinter sich zu lassen und eine neue, ganz andere und erfüllende Wirklichkeit zu suchen, verspürte auch Read einen ähnlichen Wunsch, nur dass seiner Generation die Welt eben nicht mehr genug (odersagen wir’s realistischer: in erstrebenswertem Zustand real nicht mehr erreichbar) war. Seine Forschungsreise durch die Welten zwischen Myspace. Second Life und Warcraft(sowie vor allem deren diesseitigen Repräsentationen und Repräsentanten) ist getragen von überbordender Neugier und einer erfrischend unwissenschaftlichen Begeisterung. Da iässt man sich als Leser, obwohl man manche Fassade schnell durchschaut (wenn Read zum Beispiel kritiklos mit angeblich explodierenden Teilnehmerzahlen aus der Reklame um sich wirft, die bei genauerer Betrachtung längst auf Bruchteile zusammengeschrumpft sind), durchaus gerne anstecken, auch mal „einzutauchen“ in diese sogenannten virtuellen Welten – um dann aber ernüchtert festzustellen, dass der Autor dem Urirrtum der Internetgläubigen aufgesessen ist: Man fliegt eben nicht, wenn man das Abbild einer animierten Landschaft von oben sieht (weniger noch als im Kino); man hat keinen Sex, wenn man mit der Klickmaus kopulationsähnliche Bewegungen von Pixelfiguren in Gang hält (weniger noch als beim Porno), man wird nicht satt, wenn man mit „Linden-Dollars“ Nahrungsmittel zu erwerben versucht. Die virtuelle ist auch keine Welt, sondern eine Bildschirmdarstellung, kaum so groß wie ein hübscher Bildband, aber viel weniger detailliert, ebenso virtuell (was Read selbsterkennt) wie Autoradiomusik und Fernsehnachrichten, und man kann eben nicht „ins Internet gehen“, so wenig wie man in die Zeitung geht, wenn man sie liest. Dass die vielen Fans von Simulationsspielen bis hin zu diversen Ausprägungen des „Cybersex“ kaum was anderes sind als eine moderne Form von Modelleisenbahnbauern und Flipperspielern, mag ernüchternd sein, könnte aber auch recht simpel erklären, warum die ungeheure „Revolution“, von der seit Jahren die Rede ist, einfach nicht kommt, obwohl sie längst da ist. Diese Erkenntnis ganz nebenbei und ohne Absicht des Autors vermittelt zu bekommen, macht das sowieso spannende, wenn auch etwas flapsig geschriebene Buch weit über die „Gemeinde“ hinaus lesenswert.

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