BUCH
HALB SO WILD
von David Baddiel
Der Popliterat wird zum Allrounder: David Baddiel erzählt mit viel Humor Trauriges.
Es ist über zehn Jahre her, dass der britische Comedian David Baddiel mit dem Fußballhit „Three Lions“ und den beiden Romanen „Ab ins Bett“ und „Was man so Liebe nennt“ für einige Jahre lang zum kulturellen Kanon des geneigten Indie-Poppers gehörte. Dieser Hintergrund schimmert auf „Halb so wild“ durch. In Baddiel steckt so viel Pop, der muss raus. Also lässt er eine alte Dame im Radio eine „klagende, singende Stimme mit den Worten: ,no alarms and no surprises'“ hören, zieht Ned Flanders als Beispiel für harmlose Freundlichkeit heran und lässt seine Protagonisten am iPhone daddeln und Wikipedia-Einträge durchlesen. Zunächst ist man davon irritiert, weil Baddiel eigentlich das große Ganze anvisiert. Erzählt wird vom Tode Eli Golds. Der größte Schriftsteller der Welt, größer noch als sein bester Freund Philip Roth, der ihn treu am Sterbebett in New York besucht. Vor allem aber geht es darum, was dieser Tod mit seinem Umfeld macht. Baddiel bedient sich wie zuletzt John Lanchester oder Tom Rachman eines Wechsels der Erzählfiguren. Da ist Violet, die erste Frau Elis, die in einem Altenheim in England vor sich hin lebt. Dann Colette, die späte Tochter. Der Ex-Schwager, ein durchgeknallter Mormone, der den Tod seiner Schwester rächen will. Und Harvey. Der Sohn mit den vielen Problemen. Ein Angstpatient, ein Depressiver, ein hochgradig Verstörter, der in New York durch die Hölle geht. Am Ende kommt es zum Zusammentreffen aller Parteien.
Baddiels Talent, einschneidende Vorkommnisse anhand kleiner Beispiele und in angenehmen Alltagssprech zu erzählen, kennt man. Und auch hier spannt er geschickt seine Bögen, vermischt die Geschichten der einzelnen Protagonisten, bis am Ende das Leben des Mannes, der da stirbt, ziemlich deutlich vor einem liegt, ohne dass der ein Wort gesagt hat. Ob Baddiel sich in eine Achtjährige hineinversetzen kann – nun, darüber lässt sich streiten. Davon abgesehen 500 Seiten, die man gerne liest.
****1/2 Jochen Overbeck
DEPECHE MODE: MONUMENT
von Sascha Lange und Dennis Burmeister
Zwei Kilo geballtes Fantum: Alles über und von Depeche Mode.
Zwischendurch mal eine nette Geschichte: Während Sascha Lange als Teenager im Ferienlager im Erzgebirge weilte, waren seine Eltern nach Budapest verreist. Da saß in einem Café dieser eigenartige Mann, den sie von den Postern in Saschas Jugendzimmer zu kennen glaubten. Und tatsächlich, es war Martin Gore, der mit Depeche Mode erstmals hinterm Eisernen Vorhang spielte – gerne gab er ein Autogramm und ließ sich fotografieren für den in der DDR gebliebenen Sohn. Foto und unterschriebener Zettel sind nur zwei der unzählbaren Dokumente in diesem zwei Kilo schweren, über 400 Seiten dicken Band. Lange hat sich hierfür zusammengetan mit Dennis Burmeister, ebenfalls Kind der DDR und einer der weltgrößten Depeche-Mode-Sammler. So sind hier alle Fassungen aller Platten der Band zu sehen -das volle, in großen Verlagen sonst den Beatles und den Stones vorbehaltene Programm. Dazu kommen Kuriositäten aus Anzeigen und Presseartikeln – und Interviews mit Weggefährten der Band, die das Buch etwas aus dem allzu Obsessiven herausheben sollen. Nur für Fans, aber für Fans wohl unverzichtbar.
**** Felix Bayer
DIE ERSTEN TAGE VON BERLIN. DER SOUND DER WENDE
von Ulrich Gutmair
Essayistische Geschichte des subkulturellen Aufbruchs von 1990.
Tobias Rapps „Lost In Sound“ über das Easyjet-Set, die Techno-Oral-History „Der Klang der Familie“ von Felix Denk und Sven von Thülen, Wolfgang Müllers Westberlin-Buch: Man könnte meinen, Berlin sei zumindest musiksoziologisch auserzählt. Aber Ulrich Gutmair, Kulturredakteur bei der „taz“, hat eine noch nicht buchgewordene Nische gefunden: Es geht um die Zeit direkt nach der Mauereröffnung, und es geht um den Stadtteil Mitte. Hier ist der größtmögliche Kontrast zu finden zwischen dem Zustand 1989/90 und dem heutigen. Gutmair setzt den Menschen ein Denkmal, die die geschichtsträchtigen Brachen und Ruinen als popkulturellen Spielplatz nutzten und so eine Utopie aufscheinen ließen, eine „temporäre autonome Zone“: Zu den halbvergessenen Hauptfiguren in diesem äußerst unangestrengt wirkenden Buch zählen zum Beispiel Klaus Fahnert, der Mann, der am Kiosk vor dem Tacheles saß; Jutta Weitz aus der Wohnungsbaugesellschaft, die den Künstlern Räume zur Zwischennutzung zuschusterte; Slavko Stefanofski, der weitgereiste Hausbesetzer, zugeschaltet per Skype aus Mazedonien. Eine dichte, bereichernde Lektüre.
****1/2 Felix Bayer
LEICHTE TURBULENZEN BEI ERHÖHTER STRÖMUNGS-GESCHWINDIGKEIT
von Maggie Shipstead
Eine Hochzeit und jede Menge Zwischenfälle: heiterer Neuengland-Roman mit zeitweiligem Über-Biss.
Es gibt ein Amerika, das mehr mit Hamburg-Blankenese oder Gmund am Tegernsee zu tun hat als mit Brooklyn, Los Angeles oder irgendwelchen Käffern im Mittleren Westen: An der US-Ostküste und den vorgelagerten Inseln residiert ein Geldadel mit bester Ivy-League-Bildung, den Maggie Shipstead mit sichtbarem Vergnügen demontiert: Erzählt wird die Geschichte einer Hochzeit auf der fiktiven Insel Waskeke. Aber eigentlich geht es um Abgründe wie die sexuelle Anziehungskraft der Brautjungfer Agatha auf Familienvater Winn („Ihre Wirkung auf ihn war immer noch so peinlich wie früher, als er seine Augen nicht von ihrem Hockeyrock hatte wenden können“), um seine Ehefrau Biddy, die sich bei den Vorbereitungen der Feierlichkeiten „wie ein General bei der Planung einer Offensive“ fühlt und um Livia, die jüngere Schwester der Braut, die gerade abgetrieben hat. Shipstead erzählt von all dem mit einer Menge Biss, der nur gegen Ende, wenn alle ihre Contenance verloren haben, wenn aus dem Brodeln echte Dramen entstehen, etwas zu heimtückisch wirkt.
**** Jochen Overbeck
ETWAS BESSERES ALS DIE FREIHEIT
von Wolfgang Frömberg
Eine Art Familiengeschichte, um die Geschichte der westdeutschen Linken kreisend.
Im Zentrum von „Etwas Besseres als die Freiheit“, dem zweiten Roman des Kölner Autors Wolfgang Frömberg, steht ein Buch namens „Etwas Besseres als die Freiheit“. Es war ein Bestseller in den 90er-Jahren, die literarische Abrechnung des Leo Heller mit seinen Eltern, dem 68er-Revoluzzer-Glamourpaar Heller/Sonnenschein. Doch Leo wird von falschen Freunden vereinnahmt, sein Buch als Absage an die politischen Ideen der Linken missgedeutet, worüber er in eine tiefe Schreibblockade fällt. Sie dauert noch an, als 20 Jahre später Leos Einzug in das elterliche Haus in der Vulkaneifel ansteht, rund um das die spektakulärsten Szenen dieses reizvollen Romans spielen. Frömbergs Erstling „Spucke“ basierte vielleicht etwas allzu direkt auf den Erfahrungen des Autors als Redakteur beim Magazin „Spex“. Diesmal ist es eher ein Problem, dass manche der Figuren etwas zu abziehbildhaft für bestimmte Positionen stehen. Doch dass man trotzdem auch mit diesen Figuren mitfiebert, ergibt sich aus der schlüssigen Konstruktion des Romans und ist ein Zeichen für Frömbergs erzählerisches Können.
****1/2 Felix Bayer
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