Bruce Springsteen :: Born To Run – 30th Anniversary Edition

Das Album, das einem heute noch den Glauben an den Rock'n'Roll zurückzugeben vermag, in einer sensationell aufgemachten Box mit zwei DVDs und einem wunderhübschen Booklet.

Die Zeit wird knapp für Bruce Springsteen. Zwei Alben hat der Mann, den sie als den „neuen Dylan“ verkaufen wollen,bisherveröffentlicht:GREETINGSFROM ASBURY PARK, N.J., ein ambitioniertes Singer/Songwiter-Werk, hört sich an wie John Steinbeck auf Speed: eine Flut von Worten, Bildern, Charakteren, Chiffren, dazu mäandernde Melodien, ein zwar druckvolles, indes seltsam indifferentes Backing. Das Album erscheint Anfang 1973 und liegt wie Blei in den Regalen der Plattenläden. Das gleiche Schicksal ereilt ein Jahr späterTHE WILD, THE IN-NOCENT & THE E-STREET SHUFFLE, das eine Abkehr vom bedeutungsschweren Folkrock darstellt und eine Hinwendungzum urbanen Rock’n’Roll und sich anhört, als würden Chuck Berry und George Gershwin gemeinsame Sache machen. Lange wird sich die Plattenfirma das nicht mehr anschauen.

Doch Springsteen, den gerade mal 25 Jahre alten Sänger und Gitarristen mit dem Al-Pacino-Look, und seine Kumpane – Clarence „The Big Man“ Clemons (sax), Garry Tallent (bg), Danny Federici (keyb), „Miami“ Steve van Zandt (g, voc) sowie die beiden Neuen, „Professor“ Roy Bittan (p) und „Mighty“ Max Weinberg (dr) – ficht das nicht an. Sie hocken Ende 1974/Anfang 1975 in den Record Plant Studios in New York und schrauben an einem Album herum, das eines der großartigsten, erhabensten, ehrfurchtgebietendsten, mitreißendsten, wahrhaftigsten der 70er Jahre sein wird, dem in seiner Bedeutung für diese Dekade allein Bob Dylans BLOOD ON THE TRACKS, Televisions marquee moon, Patti Smiths HORSES und Neil Youngs after the gold rush nahekommen. Auf bornto RUN fällt erstmals alles an seinen Platz: Das Rebellische und Unbehauste der 50er, die Aufbruchstimmung und die Träume von einer besseren Welt, die die 60er prägten, die elektrische Energie (und allgegenwärtige Paranoia) der 70er speisen diese Exerzitien aus Rock’n’Roll und Soul, diese streicherverstärkten Miniatursinfonien, diese Klangkathedralen, die an die Songarchitektur eines Phil Spector gemahnen, diese Hymnen auf die Adoleszenz. Da ist „Thunder Road“, der grandiose Opener mit den unsterblichen Eröffnungszeilen: „Thescreen door slams / Mary ’s dress waves / Like a Vision she dances across the porch/As the radioplays /Roy Orbison singingfor the lanely /Hey, that’s meand 1 wantyou only / Don’t turn niehome again/ljust can ‚tface nnjselfalone again.“

Es ist diese Mischung aus Romantik und Rotzigkeit, aus Poesie und Power, die dieses Album so betörend macht. Da ist der fiebrige, jenes undefinierbare Gang-Feeling feiernde Soulrock von „Tenth Avenue Freeze-Out“; „Night“, das in seinem ungestümen Vorwärtsdrang exakt den Moment einfängt, da man so schwach ist, daß man explodieren möchte; die waidwunde Ekstase von „Backstreets“, das uns mehr von der Liebe und dem Leben erzählt als das Gesamtwerk von … (Name bitte selbst einsetzen); „Born To Run“ natürlich, dieser stolze, unbeugsame Rock’n’Roll-Klassiker, dieses „Maybelline“ für die/oer. Da ist „She’s The One“, die Ode an die Eine, die er sich aus dem Kopf schlagen will und die er doch nicht vergessen kann. Da ist „Meeting Across The River“: die Geschichte von einem Typen und seiner Freundin Cherry und seinem Kumpel Eddie – ein Song wie ein Versprechen, daß das Glück tatsächlich auf einen wartet. Und dann: Jungleland“, das grandiose Finale und vielleicht – neben „Thunder Road“ – Bruces bester Song ever, in seiner neuneinhalbminütigen Glorie, ein Epos in Cinemascope, ein zärtliches Beben mit Sätzen von berückender Schönheit, die man mit Sternenstaub an den Himmel malen möchte. Und all der Weisheit, derer der Pop fähig ist: „The hirngry and the hunted/ Exphde into rock and roll bands.“

Am Ende dieseT knapp 40 Minuten bleibt man zurück, als hätte man BORN TO RUN eben zum ersten Mal gehört: nach Luft schnappend, schummrig im Kopf, das Herz vor Glück überfließend. Zum lubiläum gibt es diesen Monolithen in einer sensationell aufgemachten Box. Darin enthalten: das Album selbst, ohne Bonustracks zwar, aber in stark verbessertem Klang, ein 48seitiges Booklet und zwei DVDs. Die eine, „Wings Of Wheels“, enthält ein gominütiges, stimmungsvolles und informatives „Making Of‘ dieses Meilensteins, die andere ein unveröffentlichtes Konzert aus dem Jahr 1975 im Hammersmith Odeon zu London. Und für das, was Springsteen und seine E-Street Band zwischen „Thunder Road“ und „Quarter ToThree“ zwei Stunden lang zelebrieren, gilt das gleiche wie für das BORN TO RUN-Album: Sie klingen hier nicht wie die beste Rock’n’Roll-Band der Welt -sie klingen wie die einzige.