Beck
Odelay
DGC Records
Eine musikgeschichtliche Biographie, die zwar zurückblickt, durch die unbeschwerte Negation sämtlicher Genre-Grenzen aber zugleich kommende Nuancen der Popmusik vorwegnimmt.
Die Songs von Becks viertem Album klingen wie ein Sammelsurium aus allem, was die Musikstile der, sagen wir mal, letzten 30 Jahre hergeben. In fast jedem Song lauert eine Tonfolge, die zum Grübeln anregt: Wo, in welchem Soul- oder Jazz-Klassiker, in welchem Hippie-Hit, auf welcher kratzigen Stax-Platte hat man das bloß schon gehört?
Nach einer Auflösung der musikalischen Kopfnüsse gefragt, blitzen Becks Augen ungehalten auf: „Das klingt ja, als hätte ich alles zusammengeklaut! Ich spiele so gut wie alles selber, und zwar nicht auf dem Computer, sondern mit echten Instrumenten. Samples sind für mich nur das Tüpfelchen auf dem i. Ja, aber ….. Also gut. Ich habe genau acht Samples auf ‚Odelay‘ verbraten, das bekannteste dürfte wohl ein Part aus ‚It’s All Over Now Baby Blue‘ von Them feat. Van Morrison sein. Mehr Samples könnte ich überdies gar nicht bezahlen, das kostet heutzutage jede Menge Geld. Überdies bin ich weit davon entfernt, als musikalische Enzyklopädie durch die Gegend zu laufen. Ich bin in recht ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen und hatte nie die Mittel, mir tonnenweise Schallplatten zu kaufen.“
Woher aber stammt dann die Vertrautheit, die sich beim Anhören von ODELAY – übrigens eine Verballhornung des spanischen, leider unübersetztbaren Slang-Ausdrucks „Orale“ – unweigerlich einstellt? Beck weiß eine Antwort: „Ich vermute mal, dass ich all diese Töne aufschnappe, speichere, und irgendwann in meine Musik einfließen lasse. Ich lebe in Los Angeles in einer mexikanisch/puertorikanischen Nachbarschaft. Wenn ich dort nur mal um die Ecke gehe, um mir ein schönes, heißes Taco zu besorgen, höre ich in kürzester Zeit unglaublich viele Geräusche, Gesprächsfetzen, Töne und Lieder. Das geht natürlich nicht spurlos an mir vorüber. Spaziergänge dieser Art sind schließlich auch Dreh- und Angelpunkt meiner Arbeitsweise: Ich komme nach Hause, setze mich hin und bastle aus meinen Eindrücken einen neuen Song. Mit den Texten verhält es sich übrigens genauso.“
Unüberhörbar ist auf alle Fälle die Verehrung für die Werke anderer Künstler, die Beck durch seine Musik ausdrückt. So versteht Beck den Song „Where It’s At“, der davon erzählt, dass man zum Leben nicht viel mehr braucht als zwei Plattenspieler und ein Mikrophon, als Tribute an den frühen Old School Rap, der Song „Sissyneck“ könnte ohne weiteres aus dem Soundtrack zu einem Roadmovie mit Kris Kristofferson stammen, und bei „Jackass“ fühlt man sich ins San Francisco der Flower-Power-Ära zurückversetzt. Becks Collage-Stil spiegelt sich auch in der Instrumentierung des Albums wieder: Auf ODELAY tummelt sich die Akustik-Klampfe neben Vibraphon, sphärischem Elektro-Geblubber, den indischen Instrumenten Tabla, Tambura und Sitar, Hammond-Orgel, E-Gitarre, Zydeko-Quetsche, Blues Harp und karibisch anmutenden Percussion-Instrumenten.
Dafür, dass dieses Sammelsurium an Stilen, Instrumenten und Ideen beim unaufhaltsamen Bastler Beck tatsächlich eine endgültige Form annehmen, und somit veröffentlicht werden konnte, sorgten illustre Produzenten. Mit dabei: Tom Rothrock, Rob Schnapf vom US-Label Bongload Records und The Dust Brothers, die unter anderem für Werke von Young MC, Tone Loc und den Beastie Boys verantwortlich zeichneten. Unterm Strich entstand dabei ein großartiges Album, eine musikgeschichtliche Biographie, die zwar zurückblickt, durch die unbeschwerte Negation sämtlicher Genre-Grenzen aber zugleich kommende Nuancen der Popmusik vorwegnimmt. Zurück in die Zukunft, Beck Hansen!