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Ärzte-Musik: Auch wieder schön und gut, dieses auch, aber: Wo ist der letzte Dreh zum Irrsinn?
Die beste Band der Welt hat längst größere Zeitabstände zwischen ihren Alben – aber klingt immer noch nicht so – wie die andere beste Band der Welt, Radiohead. Fast ein halbes Jahrzehnt ist Jazz ist anders her, aber die Singles aus diesem enormen Verkaufsbrummer dudeln immer noch im Popradio. Jazz ist anders war 2007 das von Fans mit großer Erleichterung begrüßte Eigenarschtritt-Album der Ärzte, nach einer Phase, in der es nach Auflösung gerochen hatte. Es zeigte eine Band, die den Spaß aneinander wiederentdeckt hatte, ihrem Spieltrieb die lange Leine ließ und in vieler Hinsicht Extreme auscheckte, mit einigen der besten und bescheuertsten (ein Positivum) Songs des Ärzte-Katalogs.
Es sollte also nicht verwundern, wenn die neue Platte an den frenetischen Überschwang jener Frischwindkur nicht heranreicht und auch nicht die – doch, ein valides Wort im DÄ-Kontext – Tiefe des Vorgängers auslotet, den die Band selbst rückblickend als „eher düster“ bezeichnet. Ein (vergleichsweise) ambivalent-dramatischer Knaller wie „Junge“ oder die Ska-gewordene Lebenshilfe „Lasse reden“ ist auf auch nicht drauf. Farin Urlaub beschränkt sich in seinen Liedern diesmal weitgehend auf die ganz leichte Muse, sieht man mal ab von den personal politics im Punkrock-Themensong (ein DÄ-Standard) „Ist das noch Punkrock?“ und dem theologisch-philosophisch-blasphemischen Exkurs „Waldspaziergang mit Folgen“, in dem der „gläubige Atheist“ (U. über U.) über „einen Gott bei mir im Regal“ falsettiert (!).
Es sind wieder die Farin-Songs, die am schnellsten ins Ohrwurmzentrum vordringen – eine Metal-Pastiche, ein Disco-Feger, Flamenco-Gedöns, der selbstreferenzielle Stil-Hackbraten „TCR“ inkl. Schnittstelle für Live-Späße. Das hat routinierten Schmiss, gewohnt hohe „production values“, Witz und Selbstironie, aber die letzte Schraubendrehung in Richtung Wahnsinn, der kompromisslose höhere Blödsinn und die „niveautechnische Grenzwertunterschreitung“, die „TCR“ beschwört, fehlen seltsam. Wollen die Ärzte dieses Feld auf lange Sicht Deichkind überlassen?
Im Sinne einer scheint’s angestrebten Band-Demokratie sind Bela B. und Rod González mit jeweils fünf Songs vertreten. Wobei Bela, seit er sein Vampir-Image zu, äh, Grabe getragen hat, mit seinem neuen Spezialgebiet reüssiert, dem privatistischen Problemsong, toll hier: „Bettmagnet“, ein Hilfeschrei aus der TV-verseuchten Matratzengruft. Und Beatles-Fan Rod hat wieder die verschwenderischsten, in irisierenden harmonischen Farben schillernden Pomp-Pop-Geräte am Start – allen voran das auf perverse Art anrührende „Tamagotchi“.
Klar ist bei all dem: Das Wasser muss den Ärzten erst noch gereicht werden – wird es je passieren? Die Alleinstellung dieser Band ist auf ewig unangreifbar. Und Farin Urlaub darf sich freuen, dass er wieder mal einem raren Fremdwort seinen mutmaßlich ersten Auftritt in einem Popsong verschafft hat: über „massive Aphasie“, schwere Sprechhemmung also, klagt er in dem Anbandel-Drama „Fiasko“. Darunter leiden die Ärzte sicher nicht. Aber man hat sie schon schöpferischer loslabern gehört.
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