Als London noch swingte
The Kinks
The Kinks In Mono
Mercury/Universal
Pop-Poesie mit sozialkritischer Note: Die frühen Alben und zahlreiche Raritäten der Londoner Sixties-Band in einer 10-CD-Box. Alles in mono.
Über Jahrzehnte hinweg wurde der Albenkatalog der Kinks der Jahre 1964 bis 1971 weit unter Niveau verramscht. Das war die kreativste Phase des Quartetts aus dem Londoner Stadtteil Muswell Hill. Vor 14 Jahren kaufte der mittlerweile im Mediengiganten Universal Music Group aufgegangene britische Backkatalog-Spezialist Sanctuary das gesamte Material auf, editierte erstmals vorbildlich acht Studioalben, einen Soundtrack sowie einen Konzertmitschnitt. Endlich wurde das Repertoire entsprechend gewürdigt, was seit dem Niedergang des einstigen britischen Labelgiganten PYE 1980 sträflich vernachlässigt wurde. Kein Grund, in der Gegenwart in noch exzellenterer Aufmachung mit zahllosen Raritäten noch einen draufzusetzen. In mehreren Etappen wird 2011/12 der PYE-Katalog jeweils im 2-CD-Deluxe-Format neu aufgelegt. Parallel dazu wurde nach dem Vorbild von Bob Dylan und The Beatles in Londoner Archiven nach den Uraufnahmen aus jener Aufbruchsära gefahndet: The Kinks In Mono.
Mono war bis in die späten 60er-Jahre das bevorzugte Abmischformat von Tonträgern, da damals nur wenige Betuchte sich Stereo-Anlagen leisten konnten. Deshalb wurden die meisten Alben sowohl in etwas günstigeren Mono- als auch in teureren Stereo-Ausgaben aufgelegt. Dazu wurde nur selten die gleiche Ursprungsquelle benutzt, obwohl es technisch natürlich machbar war, aus Mono-Stereo-Einspielungen zu machen und umgekehrt.
Sammler dürften vor allem an Songs mit unterschiedlichen Lauflängen, nicht identischen Versionen mit zum Teil anderen Instrumentierungen und Aufnahmen gefallen finden, die nur in Mono-Fassungen entstanden. The Kinks In Mono, verpackt in einer kompakten Box, die wie ein tragbarer Plattenspieler der britischen Marke Dansette gestaltet ist, umfasst mit den ersten sieben Studioalben, einer EP-Kollektion sowie gleich zwei CDs aus raren A- und B-Seiten sämtliche Varianten. Noch stark im Mersey Beat und Rhythm’n’Blues verwurzelt war die Musik auf dem Debüt Kinks *** von 1964. An mehr oder minder obskuren Coverversionen schärfen Bassist Pete Quaife, Schlagzeuger Mick Avory sowie das Brüderpaar Ray (Gesang, Rhythmusgitarre) und Dave Davies (Sologitarre) ihr Talent. Einer der fünf von Ray Davies komponierten Songs ragt heraus: „You Really Got Me“, ewiger Partykracher und Nummer-eins-Hit mit einem Mörderriff, das Legionen von Hard- und Heavy-Rock-Gitarristen auf den Plan bringen wird. Pop-Qualitäten besitzt „Stop Your Sobbing“, das in der New-Wave-Ära von den Pretenders gecovert wurde. Dass Pretenders-Sängerin Chrissie Hynde in den 80er-Jahren eine Liaison mit Ray Davies hatte, aus der Tochter Natalie stammt, sei hier nur am Rande erwähnt.
Kinda Kinks ***1/2 von 1965 enthielt lediglich zwei Coverversionen („Dancing In The Street“, „Naggin‘ Woman“). Wenn Ray Davies ironisch pointenreich sein soziales Umfeld in Songs wie „Wonder Where My Baby Is Tonight“, „You Shouldn’t Be Sad“ „Tired Of Waiting For You“ und dem im Gespann mit Bruder Dave verfassten „Got My Feet On The Ground“ auslotet, dann blitzt da bisweilen schon die Schärfe, Tiefe und Ironie auf, die wenig später The Kinks neben The Beatles und The Rolling Stones in die Top 3 der britischen Sixties-Beat-Ikonen bringen wird.
Noch im selben Jahr erschien The Kink Kontoversy ****, das seinen Titel wegen diverser Skandale der Band verpasst bekam. Auf dem Album ist erstmals eine künstlerische Entwicklung zu entdecken. Wie ein roter Faden zieht sich durch nahezu sämtliche Songs der Ausnahmezustand des rastlosen Musikerdaseins als Thema – weshalb immer wieder gerne gemutmaßt wird, ob es sich vielleicht um Ray Davies‘ erstes Konzeptwerk handelt. Schon richtig sophisticated im typischen Kinks-Style klingen „I Am Free“, „Ring The Bells“ und „The World Keeps Going Round“. „Till The End Of The Day“ gibt eine treffliche Hit-Single ab. Und das fantastische „Where Have All The Good Times Gone“ wird als eine der legendären Sixties-B-Seiten in die Pop-Historie eingehen – aber erst nachdem David Bowie den Song 1973 für sein Album Pin Ups gecovert hatte.
Face To Face ***** aus dem Jahr 1966 verblüfft durch einen stilistischen Quantensprung – der erste kreative Höhepunkt der Band, obwohl Ray Davies zu Beginn der Produktion an einem schweren Nervenzusammenbruch laboriert. Die Band zeichnet auf dem Album ein facettenreiches Porträt Swinging Londons. In „Dandy“ tastet Ray Davies nach der thematisch verwandten Single „Dedicated Follower Of Fashion“ noch einmal jene aufs Shoppen fixierten Modegecken ab, die zwischen Carnaby Street und King’s Road flanieren, um die zahllosen hippen In-Boutiquen zu frequentieren. „Sunny Afternoon“ nimmt in etwa zur selben Zeit wie „Taxman“ der Beatles sarkastisch das seinerzeit ungerechte britische Steuersystem der Labor-Regierung unter Führung von Premierminister Harold Wilson unter die Lupe.
Auf gleicher Augenhöhe operiert im „Summer Of Love“ 1967 Something Else By The Kinks *****, das Ray Davies erstmals als Co-Produzenten neben Mentor und Entdecker Shel Talmy präsentiert. Weitere Porträts skurrilen suburbanen Alltags in Großbritannien folgen mit „Two Sisters“, „Harry Rag“ und „David Watts“ – Letzteres eine homoerotische Prä-Punk-Hymne, die ein Jahrzehnt später von The Jam neu aufgelegt werden wird. Unerreicht das majestätische „Waterloo Sunset“ mit geschärftem Blick fürs soziale Detail, der schräge Surrealismus von „Lazy Old Sun“, die ironische Rentner-Hommage „Afternoon Tea“, die verwegene Freie-Liebe-Hymne „Love Me Till The Sun Shines“ und der spöttische Blick auf die Flower-Power-Bewegung in „End Of The Season“. Bruder Dave gelingt es mit seinem europaweiten Solohit „Death Of A Clown“, sich zumindest zeitweise aus Rays Schatten zu lösen.
Auf The Kinks Are The Village Green Preservation Society ****** demaskiert die Band abermals das konservative Kleinbürgertum. Ray Davies zeichnet erstmals allein als Produzent verantwortlich. In typisch sarkastischer Kinks-Manier fühlt Davies in „Do You Remember Walter?“, „Picture Book“, „All Of My Friends Were There“ und „People Take Pictures Of Each Other“ dem British Way Of Life auf den faulen Zahn. Mit „Johnny Thunder“, „Starstruck“, „Village Green“ und dem von George Orwell inspirierten „Animal Farm“ gelingen ihm weitere zeittypische Porträts. Ein Hauch stiller Verzweiflung über herrschende soziale Missstände schwebt über dieser Produktion. Kein Wunder, schließlich ging im Produktionsjahr 1968 die halbe Welt gegen das Establishment auf die Barrikaden.
Ein Jahr später wagt sich Ray Davies mit Arthur Or The Decline And The Fall Of The British Empire ***** an sein erstes Konzeptalbum. Darauf werfen The Kinks einen wehmütigen Blick zurück ins viktorianische Zeitalter. Das Album war ursprünglich als Soundtrack für einen von ihm im Gespann mit Autor Julian Mitchell konzipierten, aber nicht realisierten TV-Film der BBC geplant. Typische Kinks-Momente sind mit „Victoria“, „Shangri La“ und „Days“ eher rar gesät. Trefflich gelingen mit „Yes Sir, No Sir“, „Brainwashed“, „Nothing To Say“ und „Mr. Churchill Says“ eine Bestandsaufnahme der seit Jahrhunderten extrem ungerechten Zweiklassengesellschaft Großbritanniens. Als Konzession an den Progressive Rock ist das sechsminütige „Australia“ zu verstehen. Neu in der Band: Bassist John Dalton, der Nachfolger von Pete Quaife wurde, für den er 1966 schon einmal kurzzeitig eingesprungen war.
Auf drei zusätzlichen CDs gibt es 49 weitere Mono-Raritäten: Sämtliche Songs der EPs „Kinksize Session“, „Kinksize Hits“, „Kwyet Kinks“ und „Dedicated Kinks“ füllen eine CD, darunter die Singles-Klassiker „All Day And All Of The Night“, „A Well Respected Man“, „Dedicated Follower Of Fashion, „See My Friends“ und „Set Me Free“. Mono Kollectables Vol. 1 & 2 heißen Disc neun und zehn mit zum Teil raren US-, Kanada-, Europa- und Australien-Mixen: Glanzlichter wie das Gender-Bender-Porträt „Lola“ und die Aussteigerverherrlichung „Apeman“ (gleich zweimal!) in Mono lassen das Sammlerherz ebenso höherschlagen wie die B-Seiten-Granaten „I’m Not Like Everybody Else“, „Sittin On My Sofa“, „Big Black Smoke“ oder „Act Nice And Gentle“. Weitere Non-LP-Singles wie „Dead End Street“, „Autumn Almanac“ und „Plastic Man“ mit Ray Davies‘ typischem Blick durch die sozialkritische Brille finden sich neben den Tracks der Solosingles von Bruder Dave: „Susannah’s Still Alive“, „Lincoln County“ und „Hold My Hand“.
Name The Kinks
Ursprünglicher Name The Ravens
Gegründet 1962
Getrennt 1996
Mitglieder (Auswahl)
Ray Davies (Gesang, Rhythmusgitarre)
Dave Davies (Sologitarre, Gesang), Mick Avory (Schlagzeug), Pete Quaife (Bass), John Dalton (Bass),
Nicky Hopkins (Piano),
John Gosling (Piano)
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