Rendezvous am Freitag
„Möchtest du noch eine Cola?“ „Danke, nein“. Er wandte sich an Jörg. „Aber du trinkst noch ein Bierchen mit mir, was, alter Freund?“ „Logisch“. Udo trank sein Glas leer und winkte Mike, dem bärtigen Kellner. „Ich finde, wir pokern eine Runde“, schlug Jörg vor. „Du kommst immer auf so grandiose Ideen, Junge!“ „Und was ist mit Anne?“ „Ja, richtig. Du pokerst natürlich mit, Engel?“ „Natürlich nicht“ sagte sie. „Warum denn nicht!“ „Ich finde es dumm, geisttötend und langweilig“ sagte sie mit einem gewissen Ton der Hartnäckigkeit in der Stimme. Sie machte Udo immer etwas unsicher, wenn sie so sprach, das wusste sie. Mike kam und brachte die Biere. „Gut, dann pokern wir nicht“, sagte Udo resignierend. Jörg schwieg. Anne wusste, dass er sauer auf sie war. Und Udo war es auch, selbst wenn er es nicht eingestand. Sie hasste es, dass Udo sich nach ihr richtete, ohne von seinem Tun überzeugt zu sein und ohne sie zu verstehen. Die beiden Knaben gingen ihr auf die Nerven. -Long as I can see the light – der Discjockey hatte eine neue Platte aufgelegt. -Long as I can see the li – ight „Wollen wir denn mal tanzen“ sagte Udo in ihr Ohr. Es klang so, als wolle er sie bei Laune halten. Langsame Musik und eng tanzen das, dachte er wahrscheinlich, würde den Trick tun! „Nein“, sagte sie. „Okay, was wollen wir denn machen! Warum sitzen wir überhaupt in dieser verdammten Diskothek! Du willst nicht tanzen, nicht pokern, was willst du denn!“ „Wir könnten uns zum Beispiel unterhalten“ sagte sie ruhig. „Worüber denn! Dann fang an, ich höre!“ Es war sinnlos. Sie zündete sich eine Zigarette an und beobachtete den Discjockey, der in seinen Plattenbergen herumwühlte. „Ich habe hinter der Garderobe, rechts vom Eingang, einen Flipper-Automaten gesehen“, sagte sie. „Wollt ihr nicht mal spielen?“ „Korn, Jungchen“, rief jörg, „dass ist eine ganz grandiose Idee. Gehen wir flippern!“ Er stand auf und zog Udo mit sich. Dieser zögerte, sah sich um und schien etwas sagen zu wollen. Anne nickte. „Geh mit ihm, es macht mir nichts aus“.
Wenn du möchtest…
Sie fühlte sich überflüssig. Sie veranlasste Udo durch ihre Anwesenheit, sich mit ihr zu befassen oder auf sie Rücksicht zu nehmen. Wenn er mit Jörg allein gewesen wäre, hätte er wahrscheinlich mehr Spass gehabt. Und wenn er mit ihr allein gewesen wäre – nein, sie hätte nicht mit ihm Karten gespielt. Er hätte sich mit ihr unterhalten müssen – sie fragte sich, warum er das nicht tat oder zumindest nicht gern tat. Bequemlichkeit, vielleicht. Sie zündete sich eine Zigarette an. „Willst du mit mir tanzen?“ Sie sah auf. „Nein …“ „Schade …“ Der Knabe blieb vor ihr stehen und sie sah ihn an, als warte sie noch auf irgendetwas, sie wollte auch etwas sagen, wusste aber nicht, was. Er hatte lange, glänzende blonde Haare und eine Andeutung von Schnurrbart. Er gefiel ihr rein äusserlich und seine leichte Unsicherheit gefiel ihr auch. „Bist du allein hier?“ fragte er. „Nein. Die beiden Knaben, mit denen ich hier bin, flippern gerade.“ Er nickte und sagte dann nach kurzem Zögern: „Ich würde mich gern ein bisschen mit dir unterhalten, aber ich weiss nicht, wie ich anfangen soll“. „Setz‘ dich doch und erzähl mir einen Witz“. „Mir fällt keiner ein. Werden deine Begleiter nicht Krach machen, wenn sie wiederkommen und mich neben dir sitzen sehen?“ – Das wäre je noch schöner dachte sie. „Nein, nein, die machen keinen Krach. Warum sollten sie?“ „Einer von ihnen könnte schliesslich dein Freund sein und eifersüchtig werden …“ Sie dachte daran, dass sie Udo noch nie eifersüchtig erlebt hatte. Sie traute ihm das auch nicht zu. Warum eigentlich nicht? Wahrscheinlich Bequemlichkeit. „Ich sehe keinen Grund zur Eifersucht“, sagte sie. „Man braucht keinen Grund, um eifersüchtig zu sein. Wenn man es ist, dann ist man es. Das ist eine Sache des Misstrauens, glaube ich.“ War also Udo nicht eifersüchtig, weil er nicht misstrauisch war? Oder war er misstrauisch, aber gleichgültig? Oder wusste er seine Eifersucht nur immer gut zu’verstecken? „Wollen wir nicht doch tanzen?“ fragte er. „Nein, wirklich nicht. Willst du eine Zigarette?“ „Ja danke. Hast du Angst, dein Freund könnte böse darüber sein?“ „Ich kann tanzen, mit wem ich will“, sagte sie schnell. Er lächelte. Sie hätte gern gewusst, warum. Udo und Jörg würden gleich zurückkommen. Schade. Dieser Knabe war angenehm um sich zu haben – sie hätte ihn gern näher kennengelernt. „Ich bin Freitag wieder hier“, sagte er. „Wenn du möchtest…“ „Ich weiss nicht…“ „Ja, ja, das ist klar. Aber ich bin auf jeden Fall am Freitag hier. Nur, damit du Bescheid weisst…“
Das Ende des Abends
Sie überlegte angestrengt, was sie am Freitag tun würde, während Udo sie nach Haus fuhr. „Die Diskothek war ganz nett“ bemerkte er. „Du findest jede Diskothek nett, wenn es dort Karten oder Würfel oder Spielautomaten gibt“, antwortete sie. Er lachte. „Du hast nicht ganz unrecht, Schätzchen!“ „Warum gehst du überhaupt in eine Diskothek? Wenn Du Karten spielen willst, kannst du das schliesslich auch zu Haus!“ „Es ist doch langweilig, immer zu Haus zu hocken.“ „Das ist doch ganz egal, wo du hockst! Es kommt darauf an, was du tust!“ „Ich weiss nicht, worauf du hinauswillst.“ Sie wusste es selbst nicht. Sie wusste nur, dass sie aggressiv wurde und ihn provozieren wollte. Warum eigentlich? Sie konnte ihn nicht ändern. Sie musste ihn so nehmen wie er war oder ihn nicht nehmen. – Vielleicht sollte ich für ihn mehr Verständnis haben – dachte sie, oder es zumindest versuchen. „Hast du Freitag Zeit?“ „Freitag?“ „Ja, Freitag!“ „Was ist denn?“ „Wir wollen mal in die neueröffnete Kneipe in der Vorstadt gehen. Jörg, Helmut und noch ein paar Typen.“ „Nein, ich komme nicht mit.“ „Gut“, sagte er, „dann gehe ich auch nicht.“ „Sei nicht albern! Wenn du dich mit deinen Freunden treffen willst, dann ist es doch egal, ob ich dabei bin oder nicht!“ „Nein, das ist nicht egal!“ „Wieso denn nicht!“ „Ich möchte dich dabei haben und ich kann dir nicht erklären, warum!“ Er hielt. Sie küsste ihn flüchtig und stieg schnell aus. „Was ist denn nun am Freitag“ rief er ihr nach. Sie beugte sich zu ihm in den Wagen. „Ich habe mich in der Diskothek, aus der wir kommen, mit einem Knaben verabredet. Ohne seine Freunde, weisst du, und ohne Karten und Würfelspiele. Du müsstest das doch verstehen …“ „Ja, das verstehe ich“. Er schob sie zurück, zog die Tür zu und gab Gas. Sie blieb stehen und sah dem in der Dunkelheit verschwindenden Auto mit einem etwas beklemmenden Gefühl nach.
Sagtest du ja?
Während sie die Haustür hinter sich schloss, fragte sie sich, ob der blonde Knabe vielleicht schon da war. Sie hatte nicht viel Lust, vor ihm da zu sein. Udo stand plötzlich vor ihr, als sie auf die Strasse trat. „Was machst du denn hier?“ fragte sie erstaunt. „Ich warte auf dich. Ich wollte dich noch fragen, warum du zu diesem Knaben gehst.“ „Weil er mir gefällt“, sagte sie kurz. „Hast du etwas dagegen, wenn ich dich zur Bushaltestelle begleite?“ „Natürlich nicht. Aber bist du nicht mit Jörg verabredet?“ Er ging darauf nicht ein. „Hast du dir schon überlegt, dass wir, als wir uns kennenlernten, auch nicht Karten gespielt‘ haben? Wir haben uns zu sehr aneinander gewöhnt, deshalb suchst du dir etwas Neues und ich mir auch. Du suchst einen neuen Freund und ich eine neue Kneipe. Wollen wir nicht lieber zusammen etwas Neues suchen?“ „Ja.“ „Sagtest du ja? – Wollen wir dann jetzt – sofort – anfangen? Irgendwo hingehen, ohne Jörg und die anderen?“ Sie nickte. Sie wusste, er würde sich nicht wesentlich ändern können, aber er bemühte sich. Es war jetzt ihre Sache, sich zu bemühen. Udo hatte sie immer so genommen wie sie war. Sie nahm sich vor, das nicht zu vergessen.