Reif für die Insel: Wir haben einen Cluburlaub mit Bilderbuch verbracht
Zuerst kam die „Maschin“ und dann der SCHICK SCHOCK: Vor zwei Jahren jagten Bilderbuch dem dahinsiechenden Patienten Indie-Rock eine Adrenalinspritze ins Herz – und machten das Popland Österreich great again. Nun wird es Zeit für die schwierige Platte nach dem Erfolgsalbum: MAGIC LIFE, für das wir die Band im Clubhotel-Kurzurlaub auf Fuerteventura besuchten.
Maurice schaut zum Horizont. Nein, sagt er, 2016 sei kein schlechtes Jahr gewesen. Trotz dieses verdammten 21. April. Die Band hatte sich auf diesen Tag gefreut. Endlich mal den Kopf frei kriegen, eine Pause von der Arbeit an den neuen Songs einlegen. Sie hatten das „Schikaneder Kino“ im 4. Bezirk in Wien gemietet. Dort wollten sie sich einen ihrer Lieblingsfilme ansehen: „Purple Rain“. Zwei Stunden vor Beginn der Vorstellung sitzen sie beim Koreaner, als einer sein Handy checkt: Prince ist tot. „Das war so surreal, dass wir erst mal nicht essen konnten“, sagt Maurice.
Prince Rogers Nelson war ein kleiner Mann, der nach Größe strebte. So wie Bilderbuch aus dem kleinen Österreich in die Welt drängen, seit sie begonnen haben, ihren Pop größer zu denken, als es in ihrer Heimat irgendjemand nach Falco wagte. Prince schenkte ihnen den Sex. Sein Sternenstaub verwandelte vier brave Strickjackenträger in Superfunkyparty-Boys. Heute tanzt Maurice im „Bungalow“-Video mit nacktem Oberkörper an der Stange. Später wird er mir erklären, dass er damit Frauen von ihrer Rolle als Sex-Objekte befreien möchte. Und ich werde zu betrunken sein, um ihm zu sagen, dass das Schwachsinn ist.
Der Kinoabend wurde zur Totenfeier. Jeden, der am „Schikaneder“ vorbeikam, lud man ein, hereinzukommen. Am Ende war der Saal rappelvoll. „Es war richtig feierlich“, erzählt -Pille. „Und es hat Spaß gemacht“, ergänzt Peter. „Man vergisst ja immer, wie lustig dieser Film ist.“ Mike sagt: „Wir haben Prince nie live gesehen.“ Und Maurice tröstet ihn: „So bleibt es wenigstens eine schöne Fantasie.“
Sie reden, wie sie Lieder schreiben. Spielen einander die Bälle zu. Einer hat ein Riff, der Nächste einen Beat. Jede Meinung zählt gleichviel – nur dass Maurice vielleicht ein bisschen mehr davon hat als die anderen. Pitchen, Loopen, Reversen. Ausschneiden, Einfügen, Weiterleiten. So entsteht ein eklektischer Mix aus Klassik und Moderne, wie ihn auch drei Jahre nach Schick Schock keine zweite Band liefert.
Hat sie der Erfolg der Platte unter Druck gesetzt? „Im Gegenteil“, sagt Peter. „Uns ging es ziemlich gut. Wir hatten eine geile Tour gespielt. Wir mussten uns erst wieder selbst in diesen stressigen Prozess des Songschreibens bringen, um ein Album aus uns herauskratzen zu können.“ „Aber das ist ja der gute Stress“, übernimmt Maurice wieder. „Nicht der Stress, den sie dir jeden Tag wie einen KO-Tropfen ins Frühstück träufeln, bis du nur mehr herumrennst und dich sinnlos über Dinge ärgerst. Wenn du dich für die richtigen Dinge stresst, dann ist das eine Liebeserklärung an das, wofür du brennst.“
Am Himmel verblutet sich das Abendrot in die Nacht. Es wird dunkel. Ich frage die anderen, ob sie zurück in die Anlage gehen wollen. Maurice möchte noch etwas bleiben. „Ich hab’ ja noch einen Drink“, sagt er. „Und er ist hier der Maßstab“, murmelt Peter und schmunzelt.
Wir kommen nun zu einem wichtigen Puzzlestück bei der Lösung des Rätsels um Magic Life. Maurice setzt noch einmal an. „Wir alle stecken fest in unserem Mikrokosmos, wo jede kleinste Veränderung als Stress empfunden wird. Dabei ist das doch immer eine Chance. Endlich tut sich was! Magic Life – das könnte Europa sein! Man kann es auch als Beschreibung eines Problems unserer Generation sehen. Metaphorisch gesprochen sitzen wir alle in einem verkackten Magic Life Club. Wir haben vergessen, wie gut es uns eigentlich geht.“ Er trinkt den letzten Schluck. „Und jetzt gehen wir einen Drink holen!“ „Er ist der Maßstab“, sagt Peter und steht auf.
It’s Superfunkypartytime!
Die „Plaza Bar“ ist noch ziemlich leer. Die meisten Gäste essen um diese Uhrzeit zu Abend oder sind auf den Zimmern, um sich frisch zu machen. „Frinks!“, ruft Maurice. Das Wort ist seine Kreation. Eine Abkürzung für free drinks. Maurice ist sichtlich stolz darauf. „Ich wünsche mir, dass das zum Jugendwort wird“, sagt er und dreht sich siegessicher zur Bar: „Long Island with Rum!“ Der Barkeeper schüttelt den Kopf. Not possible. „Ja, Oida, was is’ denn überhaupt possible?“, entfährt es Maurice.
Jemand schlägt Sex On The Beach vor. Diesen Wunsch erfüllt uns der Barmann. Na ja. Die Mischung aus Fruchtsaft und Fusel, die er uns hinstellt, ist dann wohl doch eher eine eigene Kreation. Hoffentlich ist er nicht stolz darauf. Und dann geschieht es: Ein junger Mann spricht Pille an. Ob die Band heute Abend hier spielen wird? Tausende Kilometer von der Heimat entfernt erkannt zu werden, das ist wahrer Fame! Andererseits haben wir den deutschsprachigen Raum ja nie wirklich verlassen … „Mike und Pille können viel besser mit Fans umgehen als ich“, gesteht Maurice. „Ich höre nie auf zu reden. Knips mich an, dann werd’ ich heiß! Da bin ich manchmal Opfer meiner selbst.“
Einige Frinks später. Maurice ist angeknipst und heiß. Mike, Pille und Peter sehen etwas erschlagen aus. Sie sind lange nicht zu Wort gekommen. Wir sind jetzt beim Thema Journalismus. Maurice setzt mir zehn -Finger auf die Brust und beschwört mich.
„Guter Musikjournalismus wird immer wichtiger. Wir Künstler können nur etwas erschaffen. Aber ihr müsst erkennen, wer wirklich wichtig ist.“
Ich nicke und lalle Zustimmung.
„Dire Straits!“, ruft er.
Ich nicke und lalle Zustimmung.
„Nein, da läuft Dire Straits!“
Achso. Ja, stimmt! Aber es klingt nicht nach Dire Straits. Ich drehe mich um. Da steht ein Cowboy auf der Bühne. Schwarze Klamotten, weißer Pferdeschwanz. Das ist Al Vasil. Gerade krault er „Brothers In Arms“ in die Saiten -seiner Paul Reed Smith. „Abbruch!“, befiehlt Maurice. „Wir gehen da jetzt hin.“ In der ersten Reihe – der einzigen Reihe – steht Mike schon und macht große Augen: „Der ist so leiwand“, schwärmt er. Der nächste Song heißt „Sultans Of Swing“.
Langsam kommt Leben ins „Plaza“. Ältere Pärchen lehnen an den Tischen und wippen selig zur Musik. An der Bar lerne ich Claudia kennen. Sie ist hier Stammgast. Jedes Jahr wieder Fuerteventura. „Ich bin 53 und verheiratet“, erklärt sie. „Glaubst du, ich mach’ Autostopp nach Indien?“ Wer all die jungen Leute vor der Bühne sind, will Claudia wissen. „Der eine sieht aus wie ein Hampelmann“, sagt sie. „Aber der mit den Löckchen ist ganz süß.“