Reggae Philharmonic Orchestra


Wenn Mykaell S. Riley rhythmischen Reggae mit beschwingter Klassik verschweißt, hängt der Rasta-Himmel voller Geigen. ME/Sounds-Redakteur Manfred Gillig traf den Fusion-Visionär zum klassischen Zwiegespräch.

grinsend erinnert sich Mykaell S. Riley an den ersten Live-Gig seines Reggae Philharmonie Orchestra in Deutschland:

„Auf einem Zeltmusik-Festival mit buntem Crossover-Programm gab es auch ein Konzert des Royal Philharmonie Orchestra. Wir ließen es uns nicht nehmen, mal bei den Proben unserer berühmten Namensvettern reinzuschauen. Der Dirigent erkannte uns und unterbrach das Spiel seiner Schäfchen mit den Worten ,Ladies und Gentlemen, hier kommt das andere RPO‘.“

Der Mann machte gute Miene zum neckischen Spiel. Nicht alle Klassik-Kollegen haben die Beriihrungsängste gegenüber Rileys Dreadlock-Ensemble abgestreift:

„Manche nehmen es uns sogar übel, daß wir das gleiche Kürzel wie die RoyalPhilharmonics verwenden“, erzählt Riley schmunzelnd — nicht ohne hinzuzufügen, daß das natürlich aus voller Absicht geschah. „Als wir dann abends spielten, saßen die meisten Philharmoniker neugierig in den ersten Reihen. Für viele dieser Musiker muß sich unser Konzert grauenvoll angehört haben, denn sie verließen mehr oder weniger fluchtartig den Raum. Viele blieben aber auch dabei und waren zum Schluß richtig begeistert.“

Mykaell S. Riley ist ein sanfter Visionär in musikalischen Unterwanderstiefeln. Als er die Mitglieder seines RPO einen nach dem anderen rekrutierte, sah er sich gründlich auf der britischen Klassikszene um.

Dabei fielen ihm verschiedene Tatsachen auf: „In den britischen Symphonie-Orchestern spielen vielleicht 30 oder 40 schwarze Klassik-Musiker neben vielen hunderten von weißen Kollegen — das ist ein krasses Mißverhältnis. In diesem Bereich herrscht noch immer ein hohes Maß an Rassismus und Sexismus. Schwarze Klassikmusiker haben es generell sehr viel schwerer, in ein Orchester aufgenommen zu werden, und schwarze Musikerinnen sind aufgrund ihres Geschlechts gleich zweifach benachteiligt.“

Deshalb schart der smarte Mykaell jetzt vor allem Frauen um sich: „Viele hatten nach ihrer Ausbildung schon alle Hoffnung aufgegeben, jemals als Profis in einem Orchester spielen zu können. „

Als Retter in der Not empfingen die Kandidatinnen den RPO-Chef normalerweise trotzdem nicht. „Ich mußte gegen die Eltern und gegen die Ausbilder am Konservatorium kämpfen, die alle um das künstlerische Wohl ihrer Schützlinge fürchteten, und in gewisser Weise hatten sie recht. Denn wer klassische Musik studiert hat, muß erst einmal umdenken, wenn er Reggae spielen will. Es ist nicht einfach, eine klassische Ausbildung mit dem rhythmischen Gefühl des Reggae zu verbinden.“ Mykaell lächelt ironisch: „Ich mußte deshalb hart daran arbeiten, meine Musiker künstlerisch zu verderben. Zum Glück ist es mir gelungen.“

Er sagt das nicht ohne Stolz. Und er hat auch allen Grund, stolz zu sein. Denn mit dem RPO schafft er es tatsächlich, unvereinbar scheinende Elemente zu einem stimmigen Ganzen zu verbinden: Flirrende Geigen treffen auf jazzige Saxophon-Soli, Flamenco-Gitarren ranken sich um verschleppten Reggae-Rhythmus. Auch äußerlich verschmelzen die Welten: Dreadlocks swingen in Frack und Lack, und MykaeU S. Riley selbst ist die Eleganz in Person, während er in sensibelstem Oxford-Englisch über seine Erfahrungen und Projekte parliert. „Man kann das RPO auch als Streicher-Ensemble für festliche Anlässe buchen. Gerade in betuchteren schwarzen Kreisen in London gilt es mittlerweile als chic, uns für Feste aller Art zu engagieren.“

Die RPO-Streicher wirkten aber auch auf den Platten von Maxi Priest und Wet Wet Wet. von Jimmy Somerville und den Chimes mit. Und Soulbruder Jazzie B. buchte die Spezialtruppe für die Streicher-Einsätze von Soul II Soul.

Riley hat mit solchen Auftragsarbeiten noch lange nicht sein Pulver verschossen. „Ich würde gerne mal einen Soundtrack komponieren“, meint er und weist darauf hin, daß sich auf TIME, dem zweiten RPO-AIbum, mit dem Stück „Aka“ schon eine Kostprobe findet, wie so ein Soundtrack klingen könnte.

Demnächst aber, meint Mykaell selbstbewußt, steht eine Kollaboration mit Living Colour an: „Du wirst sehen, im nächsten Jahr spielt das Reggae Philharmonie Orchestra Heavy Metal.“